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Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)

Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)

Titel: Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Benecke
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Handlungen zustande gekommen ist, nachher für den Gründungsmythos des Kaiserreiches wichtig war und dann auf völlig unterschiedliche Art und Weise erzählt wurde.
    Es gibt einige wenige Texte, literarische Verarbeitungen – es wird direkt nach dem Krieg unheimlich viel Memoirenliteratur auf den Markt geworfen. Und zum 25-Jährigen noch mal, also 1895/96, da gibt es eine unheimliche Publikationsflut. Diese Publikationen unterscheiden sich ganz stark voneinander. Es gibt einige, die drastisch erzählen, was da passiert und wie das auf den Schlachtfeldern aussah. Dann gibt es eine ganz breite Literatur von Soldaten, die mitgekämpft haben, die ist aber schon ziemlich gleichförmig. Je nachdem, wie das Talent zum Schreiben war, ist es manchmal sehr anschaulich und zum Teil dann so, dass man die operativen Schritte mitgeht.
    Einige dieser Texte beschreiben detailliert, wie dort gestorben wurde, und dass am Abend von so einer Schlacht tausende zerstörte Biografien vor Ort lagen, mit abgerissenen Gliedmaßen und so weiter.
    Später kam die Deutung – weil man ja den ganzen gestorbenen Massen einen Sinn geben musste –, dass viele Texte beschreiben, wie die Gefallenen dort lagen und friedlich schliefen , der tapfere deutsche Krieger ist dort gestorben mit einem letzten Gruß an das Vaterland. Das ist zum einen der Trost über die eigenen Verluste, wenn man den Bruder oder den Sohn verloren hat, dann stellt man sich das lieber so vor, als dass es heißt, da ist eine Granate reingerauscht, und wir konnten noch den Kopf und ein Bein begraben, weil der Rest nicht mehr da war. Da geht es im Endeffekt um Erinnern und wie sich Erinnerung dann wieder zeigt. Wir haben individuelle Erinnerungen, die gemacht werden.
    Auf dem Veteranenabend wird dann auch untereinander erzählt oder die Soldaten erzählen es ihren Kindern oder ihren Enkeln. Das ist das sogenannte kommunikative Gedächtnis. Da tauscht man sich darüber aus.
    Dann gibt es das Speichergedächtnis. Hier wird das Wissen für diejenigen überführt – wie für uns heute –, die aus der Rückschau auf den Krieg blicken und niemanden haben, der darüber aus persönlicher Teilnahme erzählen kann. Das sind festgefügte Erzählungen. Es gibt in Gesellschaften Basisnarrative, Meisternarrationen. Es gibt Geschichten als gemeinsame Deutung. Das war im Kaiserreich die, dass der Krieg unheimlich erfolgreich war. Es wird in der Erzählung ein Krieg der Helden daraus, der sehr stark an die Kriege des frühen 19. Jahrhunderts erinnert. Aber im Endeffekt war das schon ein industrieller Krieg des 20. Jahrhunderts. Das konnten die Zeitgenossen aber natürlich noch nicht wissen, das erklärt sich erst aus der Rückschau.
    Es sind Heldengeschichten, an die sich erinnert wird. Man sah den tausendfachen Tod zwar durch Denkmalsenthüllungen und Denkmalsbauten und Totenlisten, das war völlig transparent zu der Zeit, aber es wurde an die Seite geschoben und im erinnerungskulturellen Mainstream kaum problematisiert. Es war in Ordnung, weil sie für eine große Sache gestorben sind, und jetzt geht es um den glanzvollen Sieg. Dass Tausende verreckt sind, das weiß man zwar auch, hebt es aber auf eine andere Ebene.
    Wodurch genau entsteht am Ende die »Meisternarration«? Welche Macht ist die stärkste dabei? Ist es ein zeitgeschichtlicher Zufall, welche Geschichte am Ende herauskommt?
    Das ist schwierig. Wenn wir die Bundesrepublik Deutschland nehmen und uns zum Beispiel das Haus der Geschichte in Bonn angucken oder das Deutsche Historische Museum in Berlin, das sind ja im Endeffekt unsere Meisternarrationen.
    Da ist das Dritte Reich, der Zweite Weltkrieg und danach die junge Demokratie, die immer stärker wird und jetzt ganz fest in der Welt verankert ist, und die Wiedervereinigung als glücklicher Ausgang.
    Wer das so erzählt, das ist ganz schwierig. Für das deutsche Kaiserreich kann man sagen, dass es gesellschaftliche Gruppen gab, vor allem konservative gesellschaftliche Gruppen, wo sich beispielsweise die Professorenschaft wiederfindet, die Geistlichkeit zum Teil, das Militär auf jeden Fall, und das sind eigentlich die Träger, die diese Narrationen in die Schulen, in die Kirche und ins Militär weitergetragen haben.
    Aus dieser Geisteshaltung wurde das dann auch gedeutet. Nachher nannte man das zum Beispiel die Einigungskriege. Bismarck hatte sich aber nicht 1864 hingesetzt und gesagt: »Ich greif mir jetzt Dänemark und dann Österreich, und das nennen wir jetzt die

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