Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
Einigungskriege«, sondern das war nur eine Rückdeutung.
Die Narration muss jedenfalls eingespeist und immer wiederholt werden und sehr mächtig sein.
Mein Problem ist, dass ich bei meinen Recherchen zu diesem Buch hier ständig gegen eine Betonwand renne. Keiner will etwas erzählen, und es findet überhaupt keine Narration statt.
Da geht es ja darum: »Wie deuten wir die DDR ?« In der DDR gab es eine eigene Deutung. Wenn die Leute mit Themen konfrontiert werden – wenn es beispielsweise um Staatssicherheit geht, Ministerium für Staatssicherheit, Mauertote –, das hat auch noch eine strafrechtliche Komponente. Das wäre das, was wir vorhin hatten: Was ist erzählbar? Was ist nicht erzählbar? Das ist eben die Frage.
Ein Unterschied zu deiner Forschung zum Kaiserreich ist, dass es da ja zum 25-Jährigen oder zu anderen Gelegenheiten noch Einzelberichte von Menschen gab, die veröffentlicht wurden. Das liegt aus der DDR oft nicht vor. Das habe ich jetzt in meinen Recherchen erlebt. Jedes Mal, wenn ich jemanden gefragt habe: »Erzähl doch bitte mal deine DDR -Geschichte«, dann waren die einzigen Menschen, die mit mir darüber offen geredet haben, freiberufliche Arbeiter, die gesagt haben: »Wir waren ein bisschen listig und haben uns trotz aller extremen Kontrollen und Nachteile da durchgepfuscht.«
Eben, die hatten ein Handlungs- und Aktionsfeld, das sie heute so deuten können.
Alle anderen nicht? Es ging oft gar nicht um Strafrecht und Scham. Wenn ich überhaupt nur gefragt habe: »Erzählen Sie mal, was Sie den ganzen Tag gemacht haben«, dann kam da oft absolut gar nichts, auch von Menschen, mit denen ich befreundet war. Die haben das komplett ausgeklammert.
Vielleicht ist das Problem, dass die DDR als Unrechtsregime gilt. Man könnte das gleichsetzen mit der Situation in den 60er Jahren, wo auch die Fragen gestellt wurden: »Was habt ihr im Dritten Reich gemacht?« Darüber wurde und wird auch ungern gesprochen.
Stimmt, da kommt es auch zu totalem Schweigen. Ich habe das Video von den Eltern eines RAF -Terroristen [Rote Armee Fraktion, linke Terror-Bewegung] . Als der Vater gefragt wird, »Was waren Sie denn im Krieg?«, guckt er einfach in die Kamera, und man merkt, er würde gern etwas sagen, aber es geht einfach nicht. Es herrscht völlige Stille.
Vielleicht – vor allem, wenn man mit dem MfS zusammengearbeitet hat – wird einfach das Kapitel abgehakt und über diese Tätigkeiten nicht mehr gesprochen.
Wenn ein Lebensfeld abgehakt ist, muss das nächste ja kein besseres sein. Wird Geschichte immer nur von Siegern aus dem jeweiligen Feld, aus der jeweiligen Zeit geschrieben?
Sagen wir es mal so rum: Geschichte wird gemacht. Es gibt die Vergangenheit, und es gibt Geschichte, das ist ja nicht das Gleiche.
Geschichte ist Rekonstruktion, und es kommt darauf an, wer rekonstruiert und aus welchem Hintergrund heraus rekonstruiert wird. Der Historiker geht selbstreflektierend vor, das heißt, ich habe eine bestimmte Sozialisation genossen – in meinem Alter wären das die 80er und 90er Jahre unter Helmut Kohl und Gerhard Schröder, also westdeutsche Sozialisation. Aus dieser Haltung heraus, weil man dort seine Erfahrungen gemacht hat, muss man sich auch immer selber sehen. Aus welcher Perspektive schreibe ich also jetzt Geschichte? Es ist eigentlich eine neue Narration, die man dort produziert.
Ich bemühe mich, mich davon wieder wegzunehmen. Dass ich den Gegenstand betrachte und zu einem Sachurteil komme, das auf Grundlage der Quellen zustande kommt. Die nächste Ebene ist das Werturteil – und das ist immer sehr stark davon beeinflusst, wie die eigene Sozialisation ist und wie die Zeitumstände sind.
Deswegen ist die Frage zur Frage, ob Sieger Geschichte schreiben: Wer sind die Sieger? Erhebt man sich moralisch über die Vorgänge? Oder sieht man sie als historischen Untersuchungsgegenstand mit bestimmten Personengruppen und Rahmenbedingungen? Wenn wir jetzt beispielsweise sagen, das ist Unrecht, und es nach unseren gegenwärtigen Maßstäben auch Unrecht ist, dann ist die Frage, ob das für die Maßstäbe, die man in der Zeit der Geschehnisse angelegt hat, auch Unrecht war.
Es kann ja sein, dass es in der DDR die Überzeugung gab, dass man den Staat schützt. Und dann muss man als Historiker schon methodisch ganz sauber und eigentlich auch auf einer ersten Ebene sich wertfrei kontextualisiert anschauen, was gab es da für soziale Praktiken, was gab es an Möglichkeiten für Handlungen und
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