Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
freien Stücken einem Ruf an die Charité (DDR) folgt – wohlgemerkt aus Bonn. Möglicherweise hat der eine oder andere damals in der DDR vielleicht doch das bessere Deutschland gesehen. Der Vater unserer Bundeskanzlerin ist ja auch aus Hamburg mit der Familie in die DDR gewechselt.
Professor Prokop ging 1957 nach Ostberlin, da lag der blutig niedergeschlagene Volksaufstand (17. Juni 1953) gerade mal vier Jahre zurück – Budapest und Prag folgten.
Als Österreicher hatte Professor Prokop natürlich noch weitere Privilegien und mit ihm auch seine Mitarbeiter. Zu den Leuchttürmen der DDR zählten aus meiner Erinnerung damals die Professoren Otto Prokop und Manfred von Ardenne, um zwei Beispiele zu nennen. Beide waren in der DDR hochgeschätzt, beide wurden mit Ehrungen überhäuft. Die Ehrungen, die Professor Prokop erhielt, nahmen, wenn ich mich recht erinnere, vier DIN -A4-Seiten ein.
Als Sachverständiger in dem Mauerschützen-Prozess in Schwerin (Fall Gartenschläger) bekam ich Einblick in das Vorgehen meiner Kollegen, wenn die Stasi das Sagen hatte. Von daher verwundert es nicht, dass gerade unter den Medizinern nicht wenige waren, die an Flucht dachten beziehungsweise ihre Gedanken auch in die Tat umzusetzen versuchten – mit unterschiedlichem Erfolg, wie wir alle wissen.
Auch Professor Prokop hat hochqualifizierte Mitarbeiter verloren. Es muss für ihn eine schwierige Situation gewesen sein, diese auf Weisung (?) zur Rückkehr zu bewegen.
Und nun zum Fall Hetzel. Dazu habe ich mich in der Vergangenheit schon geäußert. Dem habe ich nichts mehr hinzuzufügen. Ich kenne den Fall nur aus zweiter Hand. Ich erinnere mich aber sehr wohl, dass der Fall innerhalb unserer Fachgesellschaft zu heftigen Diskussionen geführt hat. Man wollte sogar Herrn Professor Ponsold (Münster) als Mitglied ausschließen. Es war die Zeit des Kalten Krieges.
Ich wusste als junger Assistent nicht, welcher Meinung ich Glauben schenken sollte. Mir schien, als ob ein Kampf ausgetragen wurde zwischen der sozialistischen und der kapitalistischen Gerichtsmedizin – obwohl es doch nur eine Gerichtsmedizin gibt beziehungsweise geben sollte.
Die Ehrenmitgliedschaft von Professor Prokop zeigt, wie unterschiedlich Abstimmungsergebnisse ausfallen können, je nachdem wie die zuständigen Gremien besetzt sind. Dies weiß ich natürlich auch aus meiner Arbeit als Dekan und später als Vizepräsident der Freien Universität Berlin.
Falls die Akten noch vorhanden sind, wären diese sicher interessant für einen Medizinhistoriker, wie manches andere eben auch. Interessant wäre es auch, den damaligen Gerichtsreporter Gerhard Mauz (Der Spiegel) zu dem Fall Hetzel aus heutiger Sicht noch einmal zu befragen. Nach seinem Tode hieß es: »Immer ist er mitleidender Beobachter, immer ist er auf der Seite der Geschlagenen und Getriebenen …« Damit will ich es bewenden lassen.
Das waren meine letzten Äußerungen zur DDR , zum Ostberliner Institut und zu Professor Prokop.
»Niemand wei ß , wie es wirklich war.«
Interview mit dem Historiker Christian Bunnenberg über Biografie-Forschung und -Schreibung
Christian Bunnenberg ist Historiker an der Universität Duisburg-Essen. Er studierte Geschichte, Germanistik und Erziehungswissenschaften in Münster. Derzeit arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Institut der Universität Duisburg-Essen.
Benecke: Ist ein Lebenslauf jemals etwas Zielgerichtetes, Einspuriges?
Bunnenberg: Als Biograf baut man eine bestimmte Faszination auf und will dann auch in alle Ecken reinkriechen. Die neuere Biografie-Forschung geht aber eher einen Schritt zurück, so dass man sich denjenigen, den man biografiert, vom Leib hält und als Gegenstand hinsetzt.
Man schaut, dass man dieses Leben in verschiedene Phasen einteilt und sich für verschiedene Phasen verschiedene Handlungsräume ergeben. In deinem Fall: der Soldat, der Student, der Professor, der Gerichtsmediziner, weil sich dann verschiedene Handlungsfelder aufbauen. Das ist jeweils ein sozialer Rahmen, der abgesteckt wird. Dadurch schärft man den Blick auf die Person im sozialen Rahmen.
Wenn ich beispielsweise eine Politiker-Biografie habe, dann ist das ja eher jemand, der sehr stark mit der Gesellschaft in Interaktion tritt, und in diesem sozialen Rahmen unterliegt er bestimmten Zwängen und bestimmten Tätigkeiten. Man kann dann versuchen, das über die Zeit einzufangen. Man muss es kontextualisieren – also, welche Möglichkeiten hatte
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