Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
gelegen für die universitäre Rechtsmedizin in Berlin. Man hat sie leichtfertig oder gar, sollte ich sagen, mutwillig vertan.
Professor Prokop war mir zuvor durch seine Lehrbücher bekannt, insbesondere durch den »Weimann/Prokop« (Atlas der gerichtlichen Medizin). Dr. Weimann war als Direktor des Landesinstituts für gerichtliche und soziale Medizin mein Vorvorvorgänger (Dr. Weimann, Professor Rommeney, Dr. Spengler).
Als Professor Prokop zusammen mit Professor Radam den Atlas neu herausgab, hatte ich Herrn Kollegen Radam ermöglicht, das Weimann-Archiv, das sich in meiner Obhut befand, noch einmal durchzusehen (unter anderem die alten Foto-Glasplatten). Wo sich das Archiv jetzt befindet, weiß ich nicht.
Beeindruckt hat Professor Prokop unter anderem damit, dass er seine Festreden meist in lateinischer Sprache begann. Sein Markenzeichen war ferner eine Fliege (statt Schlips).
Einmal wollte mich Professor Prokop für ein Gegengutachten gewinnen. Das Erstgutachten stammte von einem westdeutschen Kollegen. Zusammen publiziert haben wir nichts. Einmal sah ich mich genötigt, etwas richtigzustellen. Es ging damals um die sogenannte Persorption, das heißt, die enterale [über den Darm] Aufnahme korpuskulärer Bestandteile (Stichwort: Diatomeen [Kieselalgen]-Probe bei der Diagnostik des Todes durch Ertrinken).
Manches haben mir nach der Wende auch die Mitarbeiter über Professor Prokop erzählt, darunter natürlich auch Anekdoten. Ich glaube, Professor Prokop genoss es, überall hofiert zu werden, und zwar auf beiden Seiten der Berliner Mauer. Einem Stasi-Bericht zufolge glaubte er offensichtlich, zu Unrecht den Nobelpreis nicht bekommen zu haben.
Zu der akademischen Trauerfeier bin ich im Gegensatz zu anderen Kollegen nicht eingeladen worden (auch nicht durch meinen Nachfolger). Von seinem Tod erfuhr ich damals nur ganz zufällig.
Sein wissenschaftliches Werk ist das eine, der Mensch Prokop ist das andere.
Trotz der Nachbarschaft – Landesinstitut und Leichenschauhaus in der Invalidenstraße, Charité-Institut in der Hannoverschen Straße – lagen durch die Mauer getrennt Welten zwischen uns. Am Ende tat mir Professor Prokop schon ein wenig leid, weil er später bei allen Begegnungen immer gleich darauf zu sprechen kam, dass er durch die Wiedervereinigung eigentlich zu den Verlierern gehöre (Stichwort: Rente). Wie es tatsächlich um seine Altersversorgung stand, weiß ich natürlich nicht.
Interessant wäre noch die Tatsache, dass sich im Institut in der Hannoverschen Straße 6 eine konspirative Wohnung (KW) befand und dass das Institut schräg gegenüber von der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland lag.
Die Wahl Professor Prokops zum Ehrenmitglied unserer Fachgesellschaft hat eine längere Geschichte. Als ehemaliges Mitglied des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin (Sekretär beziehungsweise Vizepräsident) kann ich natürlich über die vertraulichen Gespräche nicht berichten, auch nicht über die Ergebnisse der jeweiligen Abstimmungen im Vorstand beziehungsweise in der Mitgliederversammlung. Das werden Sie sicher verstehen.
Nur noch so viel: Nach der Wiedervereinigung konnten die Kollegen aus der DDR einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin stellen. Die meisten haben davon Gebrauch gemacht. Die Statuten sahen vor, dass der Antrag jeweils von zwei Bürgen unterstützt wird. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Mitglied können auch Fach-Fremde werden, Ehrenmitglied können auch Nicht-Mitglieder werden. Sie müssen vorgeschlagen werden. Die Statuten regeln nicht, wie oft jemand vorgeschlagen werden darf.
Als Rechtsmediziner hat man natürlich zwangsläufig Kontakt zu den staatstragenden Organen. Es ist allerdings ein Unterschied, ob man den beruflichen Kontakt auf das eben Notwendige beschränkt oder ob die Kontakte darüber hinaus einen freundschaftlichen Charakter annehmen. Einen Major der Stasi zu duzen, würde ich schon bedenklich finden, insbesondere wenn sich aus dieser Freundschaft Privilegien (zum Beispiel Geschenke, Reisen) ergeben. Ein Meißener Kaffee-Service wäre schon mehr als nur eine nette Aufmerksamkeit.
Ich selbst wurde immer wieder mal gefragt: Wie hätten Sie denn gehandelt, wenn Sie in einem System vergleichbar der DDR gelebt hätten? Dazu muss ich sagen, dass es einen Unterschied macht, ob man in ein solches System hineingeboren wird und praktisch keine Chance hat, ihm zu entkommen, oder ob man aus
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