Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
beschriebene verspielte Lust, forschend über den Tellerrand zu schauen.
Wolken ziehen auf
Als Prokop seine Stelle in Berlin antrat, begann zwangsläufig auch die Zusammenarbeit mit dem Staat. Was anfangs noch nach vielversprechender Unterstützung aussah, hatte unerwartete Schattenseiten. So waren in Ostdeutschland beispielsweise Selbsttötungen ein Tabuthema. Auch über die Mauertoten ab August 1961 sollte möglichst Stillschweigen gewahrt werden. Prokop arrangierte sich mit diesen Problemen, bemerkte aber auch schnell, dass die Hilfe für ihn im Gegenzug weniger fürsorglich ausfiel, als er sich das erhofft hatte. Dennoch lief es anfangs halbwegs, aber eben nur halbwegs, rund.
Im Juni 1966 meldete Prokop – damals noch seiner Pflicht zur Berichterstattung gegenüber den Behörden penibel, wenngleich sichtlich ungern nachkommend – von der Teilnahme an der 12. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Bluttransfusion in Basel, dass die Anreise »über die Bundesrepublik« erfolgt sei und er »Pfingstsonntag und Pfingstmontag im Max-Planck-Institut für Hirnforschung zusammen mit Dozent Dr. G. Uhlenbruck gearbeitet« habe, »da sich im Gespräch neue Aspekte auf dem Gebiet der Helix-Agglutinine abzeichneten« . Die beiden Forscher jonglierten über die Feiertage im Labor zwischen Blutgruppen und aus Schnecken gewonnenen Stoffen. Überhaupt war Prokop damals oft im Labor anzutreffen; seine Mitarbeiter berichteten, dass er täglich zwölf und mehr Stunden im Institut verbrachte.
Nach dem Kongress in Basel, für den er seinen Fahrer und MfS-Zulieferer unter dem Vorwand, dieser müsse »verschiedene Reagenzien« besorgen, in Köln losgeworden war, erfolgte die »Rückkehr im Schlafwagen nach Köln. Besuch der Gerichtsmedizinischen Institute in Bonn und Köln. Einladungen von Firmen wurden nicht angenommen. Das Institut für Gerichtliche Medizin in Basel wurde besucht. Allgemeiner Eindruck: Zu wenig wissenschaftliche Interessen, nur Routinearbeit.«
Es überraschte mich, dass Prokop hier ohne Not die Kollegen in Basel ein wenig herabsetzte. Der Grund dafür ergibt sich im Laufe des Protokolls. Es ging Prokop nicht um die Kollegen, sondern darum, den höheren behördlichen Stellen in Ostdeutschland seine eigenen Probleme klarzumachen.
Unter dem ihm vorgeschriebenen Protokoll-Abschnitt »politische Einschätzung« gibt Prokop daher auch keine politischen Bewertungen, sondern meldet etwas ganz anderes: »Überall herzliche Aufnahme und volle Anerkennung der wissenschaftlichen Leistungen. Auf dem Gebiet der Blutgruppen beherrschen die DDR-Bücher den Markt sowohl in der Schweiz als auch in der Bundesrepublik und in Österreich. Mit Interesse werden die Neuauflagen erwartet.
Die Bücher des Instituts [für Rechtsmedizin der Charité] sind die Standardbücher für den deutschen Sprachraum. Die Firma Biotest in Frankfurt will von dem Buch ›Blutgruppengenetik: Die menschlichen Blut- und Serumgruppen‹ [von Prokop und Uhlenbruck] fünftausend Exemplare erwerben und bedauert, dass die erbetenen Angebote des Verlages noch nicht eingetroffen waren.«
Prokop interessierte sich also nicht die Bohne für »politische Einschätzungen«, sondern webte einfach quer durchs Protokoll seine forscherischen Interessen, zum Beispiel so: »Devisenfrage: Die Mittel, die mitgegeben wurden, reichten im Gegensatz zur Stockholmer Tagung. Weitere Aspekte: Viele Teilnehmer beabsichtigen, das Institut für Gerichtliche Medizin Berlin zu besuchen, um methodische Einzelheiten zu studieren. Aussprachen haben ergeben, dass in der nächsten Zeit eine Menge von wissenschaftlichen Labors (auch in den USA ) weitere Arbeiten über das von uns entdeckte Schneckenagglutinin vorlegen werden.«
Nach dieser Vorbereitung folgt Prokops Schlusstreffer und damit das eigentliche Ziel des »Berichts« an das Ministerium für Gesundheitswesen:
»Dringende Folgerungen: Das Institut wird immer mehr Gäste anziehen. Der Hörsaal ist in einem beschämenden Zustand, wie sich jeder Gast sofort überzeugen wird können. Alle Bemühungen, Abhilfe zu schaffen (Regenwasser im Hörsaal und Labor), sind bisher erfolglos geblieben. Ich bitte das Ministerium, sich von der Wahrheit des Sachverhaltes zu überzeugen.« Und damit endet der Report. Prokop setzte noch eine gehetzte Unterschrift unter das Ganze und schickte es ab.
Man erkennt, wie innerhalb von knapp zehn Jahren nach Amtsantritt Prokops Hoffnungen auf ein weltweit führendes Institut zerbröselten. Er kämpfte zwar
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