Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
1972 in Königs Wusterhausen aufbewahrte. Dort war eine IL -62 mit 148 Urlaubern auf dem Weg nach Burgas in Bulgarien nach einem Brand im Gepäckraum gleich nach dem Start abgestürzt. Es war das größte Unglück der ostdeutschen Luftfahrt. Diese Akte wurde mit dem Bericht aus Katyn und den Akten zu den Mauertoten nach dem Mauerfall aus Prokops Tresor gestohlen.
Dass die Kripobeamten der Volkpolizei bis heute betonen, dass sie selbst mit Priestern und anderen Menschen, die von der Stasi unter Druck gesetzt wurden, gut umgegangen seien, ist zweischneidig. Denn eine eigene Abteilung der Stasi – die Linie IX – sorgte dafür, dass es eine »ständige Gewährleistung des Informationsflusses polizeilicher Erkenntnisse« zum Geheimdienst gab. Dies wurde durch Ausspähung, meist aber durch in die Kripo eingebettete MfS-Informanten, gewährleistet. Führte das MfS verdeckte Maßnahmen durch, so durften deren Ergebnisse eigentlich nicht in das gerichtliche Verfahren einfließen. Wie leicht sich das praktisch aushebeln lässt, ist aber leicht vorstellbar: Die Stasi musste der normalen Kripo nur die entsprechenden Hinweise geben, und schon handelte es sich um eine volkspolizeiliche Ermittlung.
Damit ist nicht gesagt, dass die Kripo der Volkspolizei nicht selbständig und sauber arbeitete. Im Gegenteil, es gibt zahlreiche Fälle, die unter dem Radar des MfS flogen und in volkspolizeilicher Eigenregie abgearbeitet wurden. Allerdings sahen die Verbrechen damals oft anders aus als im Westen. »1990 wurde der erste Drogentote [ins Institut für Rechtsmedizin] hineingetragen«, schrieb Marco Evers 1999 im Spiegel über die Berliner Rechtsmedizin. »Da hatte der Institutstoxikologe noch keine Ahnung, wie Heroin nachzuweisen ist. Auch sonst sahen DDR -Leichen anders aus. ›In der DDR ‹, sagt der Gerichtsmediziner Gunther Geserick, ›wurde ja viel unprofessioneller getötet.‹
Mord und Totschlag plagten auch den Arbeiter-und-Bauern-Staat, aber vergleichsweise selten und dann meist in der rohsten Form als ›stumpfe Gewalt‹, so lautet das Fachwort etwa für Schlag- und Hiebverletzungen.
Zur Gewalt kam es, wie Geserick erzählt, zumeist aus klassischen Motiven, oft beim Suff, aus Eifersucht, im Streit um eine Frau oder um Banalitäten. Auch Morde nach sexuellem Missbrauch wurden häufig im Institut dokumentiert.
Die Toten, die der gesamtdeutsche Alltag jetzt ins Institut spült, sind auf andere Weise gezeichnet. ›Stich und Schuss‹, sagt Geserick, ›das kannten wir früher kaum.‹«
Das ist der eine Teil der Wahrheit. Der andere ist, dass die Menschen in der DDR engmaschig überwacht wurden. Der Besitz von Schusswaffen war beispielsweise streng eingeschränkt und kontrolliert, wofür ausdrücklich auch das MfS sorgte . Die gute Aufklärungsquote bei Verbrechen war also auch darin begründet, dass es keine Grenzen zwischen Forschung, Polizeiarbeit, Justiz und Geheimdiensten gab.
»Die Ermittlungsunterstützung durch die Spezialkommandos der Linie IX des MfS«, so Uwe Skalske, »setzte da an, wo die Kriminalpolizei an gesetzliche, materiell-technische und personelle Grenzen stieß, und zwar in erster Linie durch den Einsatz sogenannter operativ-technischer Mittel und Methoden.
Das MfS besaß dafür zum einen die bessere materiell-technische Ausstattung und leitete zum anderen aus seinem Selbstverständnis als Geheimdienst auch eine entsprechende Legitimation ab, obgleich es dafür in der DDR keine parlamentarisch sanktionierte gesetzliche Grundlage gab. Solche Einsätze regelten sich nach innerdienstlichen Anweisungen der jeweiligen Ministerien. In Einzelfällen konnten relativ unproblematisch Erkenntnisse durch den gezielten Einsatz von IM [informellen Mitarbeitern, Spitzeln] des MfS gewonnen werden.«
Welche Materialschlacht möglich war, wenn es hart auf hart ging, zeigt der in Ostdeutschland bis heute sehr bekannte Fall des Kreuzworträtsel-Mordes aus dem Jahr 1981. Nach dem Mord waren in einem Koffer ausgefüllte Kreuzworträtsel gefunden worden. Bei den Ermittlungen wurden eine halbe Million Schriftproben teils offiziell von der Polizei, teils verdeckt vom MfS beschafft und ausgewertet. Nach zehn Monaten war der Täter ermittelt und wurde gefasst. »Der Einfluss des Ministeriums für Staatssicherheit auf die Ermittlungstätigkeit der Kriminalpolizei«, so Skalske, »war dabei mannigfaltig. Er steuerte die Personenauswahl, griff direkt wie indirekt auf Informationsquellen der Polizei zu, unterstützte mit
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