Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
war, wie auch zuvor der Kampf für die Wiedereröffnung der Fakultät in Bonn, eine mutige und aufrechte Aussage, da sich die Ärzte zumindest nach außen eigentlich vollständig von der Nazizeit abgrenzen wollten.
Martini war später Leibarzt des Bundeskanzlers Konrad Adenauer und des Bundespräsidenten Theodor Heuss. Bei seinem Tod 1964 nannte man ihn »das Gewissen der deutschen Medizin«.
Einer weiteren Version nach, die Prokop im Jahr 2004 der Berliner Zeitung berichtete, sei sein Mentor und Ratgeber für den Weg in den Osten nicht Martini, sondern Erich Hoffmann (1868–1959) gewesen. Ich halte diese Variante für eine Anpassung an die politischen Verhältnisse nach dem Mauerfall: Martini war zwar kein Nazi, hatte sich aber sofort nach dem Krieg offen und mit Verständnis dafür eingesetzt, dass die kleinen Fische und NS-Mitläufer eine neue Chance erhalten sollten. Im Jahr 2004 erlebte Prokop, dass niemand diese Güte gegenüber den Menschen aus dem ostdeutschen System äußerte und erst recht nicht durchsetzte.
Prokop saß also doppelt in der Falle. Eigentlich wollte er immer ehrlich über seine Erfahrungen im Dritten Reich und im Sozialismus sprechen. Er beobachtete aber nach dem Mauerfall, dass dies trotz seines Widerstandes gegen sozialistische Propaganda spürbare Folgen – seiner Meinung nach vor allem Ehrverlust und eine »Strafrente« von nur 2000 Mark pro Monat – nach sich zog. Vielleicht änderte Prokop die Identität seines Bonner Ratgebers deshalb von Martini auf Erich Hoffmann um.
Der Dermatologe Hoffmann war dem Dritten Reich nämlich deutlich konsequenter als Martini ausgewichen. Er verbrachte die Kriegszeit im Ausland – auch deswegen, weil er in einer Vorlesung an der Bonner Universität mitgeteilt hatte, ein »Jude im weißen Kittel sei ihm lieber als ein Nazi im braunen Rock«. Nachdem Erich Hoffmann im Jahr 1933 auch noch die Doktorarbeit einer jüdischen Studentin betreuen wollte, wurde er 1934 aus dem Staatsdienst entlassen.
Hoffmann eignete sich aufgrund seiner Geradlinigkeit also vielleicht besser als Prokops Ratgeber. Als Entdecker des Syphilis-Erregers war Hoffmann nach dem Mauerfall zudem wesentlich bekannter als Paul Martini. Hoffmann hatte außerdem ein Verfahren zur Darstellung mikroskopischer Bilder erfunden, das Prokop nutzte. So passte vielleicht doch wieder alles zusammen .
So oder so: Die Charité war überglücklich, endlich einen hochkarätigen Mann für das Amt des Leiters des Institutes für Rechtsmedizin gefunden zu haben. Sogar der vorherige Institutschef Victor Müller-Heß (1883–1960) war 1949 in den Westen gegangen, »als ganze Professorenkollegien und Studentengruppen der Ostberliner Humboldt-Universität den Rücken kehrten und in Dahlem die Freie Universität gründeten«, so die Berliner Zeitung .
Nicht nur für das Institut für Rechtsmedizin der Charité hatte sich jahrelang – bis zu Prokops Ankunft – keine strahlkräftige und zuverlässige Leitung gefunden. Sogar der Blutspendedienst in Berlin wurde unter die Aufsicht Prokops gestellt, weil dort laut einem Bericht an den Magistrat von 1962 »die Stelle des Chefarztes laufend durch Republikfluchten neu besetzt werden musste«. Innerhalb von drei Jahren hatten sieben Chefs das Land gen Westen verlassen.
»Erst durch die sozialistische Hilfe, die uns die ČSSR [heute Tschechische Republik] durch die Entsendung des Facharztes für Blutspende- und Transfusionswesen, Herrn Dr. Vacl, angedeihen ließ«, ging es überhaupt weiter. Nach 1945 wollte kein einziger deutscher Arzt die Leitung der Bluttransfusionsstellen im Osten dauerhaft übernehmen. Alle Kandidaten und Amtsinhaber waren nach Westdeutschland gegangen.
Prokop nahm also das Angebot für die Leitung des Berliner Blutspendedienstes (vom 1. Oktober 1961 bis zum 1. April 1963) an. Wie auch sonst in seiner Arbeit nutzte er diese Stelle vor allem dazu, um gemeinsam mit Kollegen Forschung zu betreiben. Mit dem Blutspendedienst war Prokop an der Quelle für frisches Blut. Und Blut brauchte er, um Versuchsreihen an seinem wissenschaftlichen Hauptthema dieser Zeit, den Blutgruppen, durchzuführen.
Eine Veröffentlichung, die direkt aus der Zusammenarbeit mit dem Blutspendedienst entstand, waren Experimente zur »Anwendbarkeit von Bäckerhefe beim Nachweis von Blutgruppenfaktoren«. Sein Co-Autor Gerd Fünfhausen war zugleich Prokops Nachfolger als Chef des Blutspendedienstes. In der Bäckerhefe-Arbeit zeigte sich die von vielen Kollegen Prokops
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