Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
geheimdienstlichen Mitteln und Methoden oder zog die Ermittlungen ganz an sich.«
Der Journalist Klaus Behling, der von 1972 bis 1981 DDR -Diplomat war, schrieb mir dazu: »Es gab die Praxis des ›Durchstellens‹. Da redete man mit diesem und jenem, äußerte ›Wünsche‹ oder gab › Anregungen ‹ – das war eine sehr subtile Art, die formal nicht einmal ein Rechtsbruch war, weil die DDR kein Rechtsstaat war. In diesem Bereich eröffnet sich dann wieder ein breites Spektrum von Handlungsmöglichkeiten, die von vorauseilendem Gehorsam bis zur Intrige reichen.«
Das alles war Prokop natürlich bekannt, aber es kümmerte ihn nicht. Die zwangsweise engen Verflechtungen Prokops mit dem MfS erklärten auch, warum er sogar dem Stasi-Chef Erich Mielke den Wert seiner wissenschaftlichen Arbeit vermitteln wollte . Wie frustrierend das Ergebnis war, lässt sich anhand Prokops verzweifeltem Bemühen um Forschungsgelder erahnen.
Prokop und die Staatssicherheit
Prokop wurde von allen Kriminalisten, mit denen ich gesprochen habe, hoch gelobt – doch wie ich vermute, größtenteils aus den falschen Gründen: Prokops wissenschaftliche Arbeiten waren den Befragten meist unbekannt bis unverständlich.
Den Eiertanz zwischen Forschung und Staat konnte Otto Prokop, der ein Universitätsinstitut mit weltweiter wissenschaftlicher Strahlkraft führen wollte, nicht gewinnen. Zwar behängte man ihn mit Ehrungen und Orden, doch das konnte niemanden darüber hinwegtäuschen, dass Prokop mehr vom MfS eingespannt wurde, als er die Stasi umgekehrt für seine Ziele einnehmen konnte.
Das galt sogar für Personalentscheidungen. Obwohl Prokop der Meinung war, dass der Mitautor des »Atlas der gerichtlichen Medizin«, Georg Radam, ein »kalter, unberechenbarer und zynischer Mensch« und zudem »wissenschaftlich eine Null« sei, der auf keinen Fall seine Nachfolge als Institutsdirektor antreten sollte, versuchte Radam 1981, »über die Partei seine Karriere durchzusetzen«, wie es in einem Stasi-Bericht heißt.
Da Radam »Freundschaft zu dem leitenden Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit und zur Partei« pflegte, befürchtete Prokop, dass der ihm ungeeignet erscheinende Oberarzt »über diese Organisationen den Direktorensessel bekommen« könne. Wie man sieht, war Prokop also noch nicht einmal sicher, dass er durch seine zahlreichen Kontakte zum MfS seine eigene Nachfolge würde regeln können.
Für jüngere Leser und Wessis ein paar Worte zum MfS. Das Ministerium für Staatssicherheit, umgangssprachlich Stasi, wurde im Februar 1950 gegründet und war der Geheimdienst der DDR . Er hatte die weltweit üblichen geheimdienstlichen Aufgaben, darunter die Gewinnung und »Abschöpfung« von »Quellen« und Spionen sowie Spionageabwehr und Desinformation.
Gegenüber den Bürgern traten mehrere Abteilungen der Stasi als allgegenwärtiges Unterdrückungs- und Überwachungsinstrument auf. Die ostdeutsche Bevölkerung wurde vom MfS nicht nur überwacht, sondern auch manipuliert, eingeschüchtert, erpresst und terrorisiert.
Wie bei Geheimdiensten üblich – allerdings in westlichen Industrieländern nicht unbedingt gegenüber der eigenen Bevölkerung – führte die Stasi regelmäßig auch »Zersetzungsmaßnahmen« durch. Dazu gehörten Verleumdung, die Zerstörung von Eigentum, Verhaftungen und Verhöre sowie soziale Fallen. Eine typische, regelmäßig angewandte Erpressungsmaßnahme der Stasi war beispielsweise die (auch umgesetzte) Drohung, Kinder trotz offenkundiger Eignung nicht studieren zu lassen sowie berufliche Nachteile bis hin zu Berufsverboten.
Man konnte den Annäherungsversuchen des MfS im kleineren Rahmen durchaus ausweichen. Ich habe viele Berichte von Menschen gehört, die – allerdings wie gesagt kleinere – Aufträge der Stasi mit ein wenig Trickserei abbogen. Es gibt auch Beispiele von bereits Studierenden, die nicht zur Aufgabe des Studiums gezwungen wurden, wenn sie nicht mit der Stasi zusammenarbeiten wollten. Das heißt allerdings nicht, dass sie nicht über Freunde »abgeschöpft« wurden.
Manche Menschen waren für das MfS auch unbedeutend, beispielsweise Selbständige, von denen man sich weder Informationen erhoffte noch Staatszersetzung befürchtete. Diese Menschen hatten teilweise ein sehr gutes Einkommen, etwa durch Motorrad- oder Auto-Bastelei. Auch Prostituierte waren dem MfS egal, solange sie nicht mit Messegästen zu tun hatten. Dann kam die Stasi sofort mit ins Boot.
Wo Bürger überwacht
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