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Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)

Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)

Titel: Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Benecke
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wurden, gingen die Maßnahmen in die Tiefe. Das MfS setzte neben Eheleuten auch Jugendliche auf ihre Eltern, Arbeitskollegen aufeinander und auch sonst jeden gegen jeden an, wenn es nützlich war. Wohnraumüberwachungen mit versteckten Mikrofonen waren grundsätzlich möglich, meist wurde der Aufwand aber vermieden und stattdessen aus der großen Zahl von Informanten das Wesentliche »abgeschöpft«.
    Anders als die westeuropäischen Geheimdienste hatte die Stasi polizeiliche und staatsanwaltliche Befugnisse . Eine Gewaltenteilung gab es nicht, und oft wurde sogar die Staatsanwaltschaft umgangen. Wo man der Schutzpolizei bei genügender Chuzpe wegen Kleinkram problemlos Paroli bieten und sie sogar auslachen konnte, hatte dergleichen gegenüber der Stasi wegen deren Eingriffsrechten unüberschaubare Folgen.
    Es gab also manchmal Luft und Spielraum gegenüber dem MfS, aber je nach Dringlichkeit, mit der die Stasi vorging, nur wenig und oft eben zu wenig. Ein bekanntes Beispiel ist der Fall von Vera Wollenberger, die von ihrem eigenen Mann jahrelang ausspioniert wurde, bis sie verhaftet wurde. Wollenberger verfocht als Bürgerrechtlerin vor allem »Umweltschutz, Sozialarbeit und Frauenfragen« (Zitat aus ihren Unterlagen). Solche Anliegen waren der Stasi suspekt.
    »Der Blick in die Akten«, schrieb Wollenberger nach Aufarbeitung ihrer papiergewordenen Lebensabschnitte, »hat jene faszinierende Sogwirkung, der man sich immer wieder durch ein Lachen entziehen muss. Glücklicherweise gibt es genug unfreiwillige Komik, die Anlass dazu bietet.
    Aber jedes Lachen erstirbt sogleich wieder bei dem Gedanken, dass es immer bitterernst war. Viele haben sich nicht zum Opfer machen lassen, obwohl sie tiefe, manchmal unheilbare Wunden davongetragen haben.«
    Es gab im MfS unterschiedliche Abteilungen, die teils recht verschieden arbeiteten. Die Linie IX ermittelte beispielsweise hauptsächlich polizeinah, während andere Abteilungen für Auslandsspionage oder Volkswirtschaft zuständig waren.
    Bis heute verstehen viele Stasi-Mitarbeiter nicht, warum ihre Arbeit schädlich oder schändlich gewesen sein soll. Das ist verständlich, denn ein Zahnrad ist wie in jedem System eben nur ein Zahnrad. Es ist leicht, sich das Uhrwerk auszureden und nur auf seine Zähnchen zu schauen.
    Vor allem gelingt es bis heute nicht jedem Stasi-nahen Menschen, die Gefühle anderer zu verstehen – besonders, wenn man sie für feindlich oder zersetzend hielt. Vera Wollenberger berichtet beispielsweise über die Untersuchungs-Abteilung des MfS, von der man vor allem in Brandenburg auch heute noch öfter in der Presse liest. Einige Mitarbeiter dieser in ihrer Selbstwahrnehmung eher harmlosen Abteilung haben bei der Polizei bis zuletzt höhere Posten bekleidet. Sie beharren darauf, dass sie niemanden persönlich verfolgt, sondern bloß die notwendigen Tatsachen festgestellt hätten. Das stimmt oft auch.
    »Immer wieder versuchen Stasi-Offiziere geltend zu machen, sie seien lediglich befehlsausführendes Organ gewesen, sie hätten nur die Anweisungen der Partei ausgeführt«, berichtet Vera Wollenberger. »Die Staatssicherheit war aber nicht nur ›Schild und Schwert der Partei‹, sondern ein selbständig handelndes, Weisungen erteilendes Organ, das auch seine Partei im Kampf gegen die ›Staatsfeinde‹ dirigierte.«
    Warum sich die Stasi-Untersucher trotzdem einreden konnten, zwar clevere, aber dennoch bloß ihre Arbeit ordentlich erledigende Menschen zu sein, spiegelt sich in einer Begegnung Wollenbergers mit einem ganz unfanatischen Stasi-Mitarbeiter wider:
    »Ehe ich den Haftrichter sah«, berichtet sie, »lernte ich noch meinen Vernehmer kennen. Es war ein Mann meines Alters mit schmutzig-blondem, schütterem Haar, einer Brille und einem leichten Anflug von Feistheit im Gesicht und am Körper. Der leicht sächsische Akzent gab der Stimme einen Anflug von Weichheit. Er sei nur das Untersuchungsorgan, stellte er sich vor, er hätte lediglich herauszufinden, ob die gegen mich erhobenen Beschuldigungen zutreffend seien oder nicht.
    Er hat sich auch in der Folge immer korrekt verhalten, ist sachlich geblieben, nie ausfallend geworden, hat die Untersuchung nach Vorschrift und Anweisung ausgeführt, ohne dass die Sympathie, die er mir gegenüber zu entwickeln vorgab, ihn zu einer menschlichen Geste verleitet hätte.
    Er war Teetrinker wie ich und bestellte uns immer einen schwarzen Tee. Er war Nichtraucher wie ich und hasste angeblich das Neonlicht wie ich. Er

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