Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
vermutete Täterschaft Hetzels.
Die Tote hatte mit geschlossenen Augen und in voller Leichenstarre am Fundort gelegen. Die rechte Hand ruhte auf dem heruntergefallenen Zweig einer Hecke. Da Zweige und Äste später noch eine entscheidende Rolle spielen sollten, hier einige pflanzliche Befunde aus dem Tatortbericht:
»Entlang dem rechten Oberschenkel liegt eine dünne Heckengerte; das Ende dieser Gerte liegt unter dem angewinkelten rechten Oberarm. Ein Zweig hiervon liegt auf der Handwurzel der linken Hand auf. Einige Zweige der Hecke sind geknickt und zeigen frische Brüche. Die Leiche wurde wahrscheinlich an die Fundstelle verbracht, hier abgelegt oder abgeworfen.«
Die ansonsten wenig aussagekräftige Lage der Leiche nebst der von Hetzel tapfer erlogenen Ablaufschilderung der Autofahrt sowie die Blut- und Kotspuren an seiner Kleidung führten dazu, dass sich die Schlinge um seinen Hals in den folgenden Monaten langsam zuzog.
Schlecht für ihn war, dass er die Kleidung der nackten Leiche anderswo entsorgt hatte. Wozu sollte er das tun, wenn er die Leiche bloß in Panik fortgeworfen haben wollte? Hetzel blieb – nachdem er den Sex endlich doch zugegeben hatte – dabei, dass er Angst gehabt habe und bloß die Spuren vernichten wollte.
Die Sektion hatte ergeben, dass die Tote im ersten oder zweiten Monat schwanger gewesen war. Außerdem hatte sie früher bereits eine Abtreibung durchgeführt. Auch eine Bissspur in der Nähe des Nabels und drei weitere Bisse an der Brust der Leiche zeugten von einiger Action. Es wurde immer emotionaler.
Das Aussagegewebe, in das sich Hetzel verstrickt hatte, spiegelt sich auch Jahre später noch in einem umfangreichen, angeblich »vorläufigen« Gutachten wider, das Professor Laves vom Institut für Rechtsmedizin der Universität München am 30. August 1961 fertigstellte. Darin verbindet er die Sektionsbefunde mit seiner Meinung, dass alle Auffälligkeiten durch schwere Gewalt eingetreten seien. An die Möglichkeit, dass die Bissspuren einvernehmlich entstanden sein könnten, wagte damals niemand zu denken. Auch, dass der Analring von Toten wegen der Muskelerschlaffung öfters klafft, und dass Hetzel, wie er am 3. November zugab, aber am 5. November widerrief, durchaus Analverkehr mit Frau Gierth durchgeführt hatte, war in der damaligen Hochzeit der westdeutschen Prüderie unaussprechlich.
»Es fanden sich zahlreiche Spuren äußerer Gewalteinwirkung«, schreibt der Gerichtsmediziner. »Sie lassen den Schluss zu, dass in einer hochgradigen sexuellen Erregung, möglicherweise in einer Perversion vorgegangen worden war. In diesem Sinne spricht auch der klaffende After mit den frischen Schleimhautverletzungen am Eingang.«
War die gutachterlich »geschätzt zwanzigjährige« Frau Gierth (sie war fünfundzwanzig Jahre alt geworden) aus Chemnitz aber an den Bissen, den Kratzern und dem Analverkehr verstorben? Sicher nicht. Auffällig war, dass die sonst beim Erwürgen oder Erdrosseln auftretenden Erstickungszeichen – winzige Einblutungen in die Schleimhäute des Gesichtes – fehlten.
Da sich Gutachter Laves mangels sicherer Zeichen nicht auf Erdrosseln festlegen wollte, wählte er eine andere Todesart. »Zusammenfassend ist zu sagen«, so Professor Laves, »dass der Tod offenbar an einem Herzversagen eingetreten ist.« Es durfte aber kein natürliches Herzversagen sein – dagegen sprachen Hetzels Verhalten und jede kriminalistische Erfahrung. Also schrieb Laves, dass der Herzstillstand »wohl aus der durchgemachten multiplen Misshandlung sowie dem entkräfteten Zustand nach unvollkommener [unfachmännischer] Abtreibung erklärlich wird. Bei der Vielzahl der Verletzungen ist anzunehmen, dass sie in Bewusstlosigkeit des Opfers beigebracht wurden.«
Diese Schlussfolgerung erscheint einem sachlich denkenden Forscher gewagt. Warum sollte das offenbar vorgeschädigte Herz der Frau nicht einfach durch die Aufregung beim zweifachen Sex-Abenteuer stillgestanden sein? Und warum sollten stattdessen die nicht sehr schweren Verletzungen – abgesehen vom »Würgemal« – den Herzstillstand bewirkt haben, während die Frau bewusstlos war? Ob eine »Perversion« (gemeint war der Analverkehr) stattgefunden hatte oder nicht, spielte außerhalb moralischer Bewertungen keine Rolle. Laves kam dennoch zu dem Schluss, dass der Herzstillstand für Hetzel zwar nicht vorhersehbar, aber trotzdem durch die von ihm ausgeübte Gewalt bedingt war.
Dem Drang, in der »perversen Gewalt« unbedingt die
Weitere Kostenlose Bücher