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Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)

Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)

Titel: Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Benecke
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Prokop moderne Kunst gesehen. Er erwähnte sie auch nicht und interessierte sich offenbar nicht für sie. Falls er wusste, dass seine Fotos aus dem Atlas von Westkünstlern verwendet wurden, sprach er jedenfalls nicht davon.
    Später versuchten andere Autoren, aktuellere Atlanten der Rechtsmedizin zu veröffentlichen. Meist war ihre Verbreitung, vor allem aber ihr dauerhafter Einsatz durch niedrige Auflagen, viel zu kleine Buchformate oder wechselnde Betriebssysteme, sofern sie auf Datenträgern veröffentlicht wurden, begrenzt. Problematisch waren und sind vor allem die oft ungenügende Fotoqualität und der innere Aufbau der Bilder, die zwar anschaulich, aber bei weitem nicht so eindrucksvoll und damit einprägsam sind wie die handverlesenen, großen und fotografisch hochwertigen Abbildungen in Prokops Atlas. Oft wird auch am Papier für den Druck gespart, so dass selbst hochwertige Fotos in den Poren der Seiten versacken. Die Fotos von Weimann, Prokop und Radam sind hingegen auf glattem Papier gedruckte Gemälde, auf denen sogar die Lebensumstände und der Gesundheitszustand der Toten noch ihren zarten Abglanz finden.
    Das westdeutsche Ärzteblatt sah es ähnlich. Die Abbildungen aus Prokops Atlas würden »auch bei dem in jahrzehntelanger Konfrontation mit dem Gewaltverbrechen ›hartgesottenen‹ Fachkollegen ihre Wirkung nicht verfehlen. Selbst bei vergleichender Betrachtung eigener Sammlungen wird man neue Aspekte entdecken.«

3. Der Fall Hetzel: Herzschlag oder Mord?
    Es gibt Todesfälle und Unglücke, die niemand vergisst. Ältere Menschen wissen, was sie bei Kennedys Tod gegessen haben, mittelalte kennen ihren genauen Aufenthaltsort bei Lady Dianas Unfall und jüngere erinnern sich schaudernd an den Tag, als sich »Nightwish« von Tarja Turunen trennte.
    In der rechtsmedizinischen Fachwelt gibt es hingegen kaum Todesfälle, die tiefe, allgemein erinnerte Spuren hinterlassen. Selbst der Tod von Marilyn Monroe, der ein Suizid oder Mord durch Giftklistier gewesen sein mag, wird auf US -amerikanischen forensischen Tagungen bis heute von den Kollegen eher als akademisches Spiel vorgetragen. Wut und verletzte Gefühle spielen dabei keine Rolle. Oft hinterlassen selbst Katastrophen wie der bei großer Hitze und damit der Gefahr von Fäulnis erfolgte Flugzeugabsturz der IL -62 nur zeitlich und räumlich begrenzte Erinnerungen.
    Anders liegt der Fall des gelernten Metzgers Hans Hetzel (1926–1988), der am 1. September 1953 eine »Anhalterin« – wohl ein Prostituierte – aufpickte. Dieser Fall ist bis heute zwei Generationen von Rechtsmedizinern so gut bekannt wie anderen der Einsturz des World Trade Centers in Manhattan.
    Hetzel »frönte mit der Frau der Liebe, und weil es so schön war, tat er es gleich noch einmal« (Prokop). Beim zweiten sexuellen Durchgang starb die Frau. Am 3. September um halb acht abends fand ein Jagdaufseher die nackte Leiche an der Bundesstraße zwischen Appenweier und Sand »bei Kilometer 54,750« seitlich im Gebüsch der Straßenböschung. Die Polizei sah keine Blutspuren, keine Waffen, keine »Zeichen eines Kampfes« und kein einziges Kleidungsstück. Die Arme der erkalteten Leiche waren über der Brust gekreuzt.

    Dieser Fall ließ Prokop bis zuletzt keine Ruhe: Auf seiner Schreibmaschine geschriebene und zusammengestellte Notizen aus dem neuen Jahrtausend.
    Bei der Leichenschau stellten je ein Amtsgerichtsrat, Oberstaatsanwalt, Amtsarzt, Pathologe »als Gerichtsarzt«, praktischer Arzt und Justizangestellter fest:
    »Das Kopfhaar ist tizianrot gefärbt und ziemlich kurz. Die Augen sind geschlossen. Im linken Lidspalt befinden sich Mückeneier [»Mugge«: schwäbisch für »Schmeißfliegen«]. Das linke Oberlid ist dunkelbläulich rot verfärbt. In beiden Ohren werden durchgestoßene, kleine Glas-, mit Silber gefasste Knöpfe getragen. Das Gebiss ist schadhaft, es fehlen der zweite Schneidezahn rechts oben, beide Vormahlzähne rechts oben und der zweite Vormahlzahn rechts unten. Der Analring ist deutlich ausgeweitet und von blutigen Massen belegt. Man sieht Einrisse in der [analen] Schleimhaut am Übergang von der äußeren Hautepithelen in das innere Schleimhautepithel.«
    Über den Rücken, unter der Brust, an den Schulterblättern, am Gesäß und am Hals verliefen Schürfspuren.
    Wichtig wurde vor allem die unter Punkt 6 des Protokolls vom 4. September 1953 als »aufgegabelte, blutunterlaufene Schnürmarke« bezeichnete »Würgemarke«. Der Fall war damit klar: Es musste sich

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