Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
Todesursache zu sehen, stand später die Stellungnahme von Gerhard Hansen, Direktor des Institutes für Rechtsmedizin der Universität Jena, entgegen. Am 23. August 1967 schrieb Professor Hansen an Hetzels Rechtsanwalt – nach bereits mehrfach gescheiterten Wiederaufnahme-Anträgen – einen gepfefferten Brief:
»Ich glaube, nach Durchsicht der Unterlagen vielleicht eine Chance darauf zu sehen«, so Hansen, »den Gutachten und Sachverständigenaussagen den Boden zu entziehen und so die Wiederaufnahme zu erzwingen. Diese Möglichkeit ist gegeben, wenn das unbrauchbare Sektionsprotokoll und die völlig unzureichenden mikroskopischen Untersuchungen in den Vordergrund gerückt werden.
Ich zweifle nicht daran, dass eine große Zahl von Experten der Gerichtsmedizin dieses Protokoll und die nachfolgenden Untersuchungen als völlig unzureichend bezeichnen werden. Die mangelnde Qualifikation der Obduzenten lässt sich leicht nachweisen.«
Das saß. Die Rechtsmedizin war und ist ein sehr kleines Feld, in dem sich viele Fachärzte, besonders aber die Institutsdirektoren durch Kongresse und Gutachten kennen. Zugleich ist die Rechtsmedizin nicht nur eins der ältesten medizinischen, sondern oft auch der altertümlichsten und konservativsten medizinischen Fächer. Auf Umgangsformen wurde daher – erst recht in den 60er Jahren – noch sehr stark geachtet. Auch Professor Prokop hielt den akademischen Respekt als einen wesentlichen Wert hoch und ärgerte sich immer wieder über dessen Verschwinden in der modernen Welt. Ein Ausfall wie der von Hansen gegen seine Kollegen (»unbrauchbares Protokoll«) war beispiellos.
Hansen legte sogar noch nach. »Ich kann nur sagen«, schreibt er, »dieses ›Protokoll‹ ist eine einmalige Fehlleistung, die nach meinen Erfahrungen aus dreißig Jahren ohne Beispiel ist. Es ist absolut unzuverlässig und lässt erkennen, dass die Obduzenten von gerichtlicher Medizin nichts verstehen. Dass von den beiden Obduzenten keiner die Qualifikation ›Gerichtsarzt‹ besitzt, ist zu beweisen.«
Der Fall Hetzel wirft seine ersten langen Schatten: geharnischter Brief des ostdeutschen Rechtsmediziners Professor Hansen aus Jena an den Anwalt Hetzels. Der ungewöhnlich scharfe Ton nahm die sich zuspitzende Auseinandersetzung zwischen Albert Ponsold (Rechtsmedizin Münster) und Otto Prokop vorweg. Es ist vorstellbar, dass Prokop diesen Text zumindest teilweise selbst verfasste, da er sich auch in anderen Fällen Kooperationspartner suchte, wenn es brannte.
Zweifellos hatte Hansen Deckung von Otto Prokop. Doch warum sollten die beiden ostdeutschen Gerichtsmediziner das Tischtuch zwischen den ersten Obduzenten, den späteren Gutachtern im Westen (der gerichtliche Erstgutachter Albert Ponsold hatte die Leiche nicht seziert, sondern nur Fotos angesehen) und sich selbst so energisch zerschneiden wollen? Schließlich ging es um einen vielfach wegen Diebstahl, Betrug, Verstoß gegen das Tierschutzgesetz – Hetzel hatte eine Katze getötet – und nun zuletzt wegen Mordes an einer Anhalterin verurteilten Mann.
Hetzel war wirklich ein harter Hund. 1942 hatte er einem Richter ins Gesicht gelacht, als dieser ihm vorhielt, eine Katze anstatt wie vorgeschrieben mit Strom mit einem Blutrührstock per Schlag auf den Kopf getötet zu haben. Die Tötung habe ihm Spaß gemacht, gab Hetzel damals zu Protokoll. Selbst das Urteil des Richters für diesen Verstoß gegen den Tierschutz – Hetzel fing sich einen »Wochenend-Karzer«, also ein Wochenende im Gefängnis ein – ließ Hetzel laut Akten bloß leise lächeln.
Dieses »Belachen der richterlichen Belehrung« wurde Hetzel nachteilig ausgelegt. Sie ist ein Kennzeichen gefühlskalter Personen, die nicht verstehen können, warum Aufregung um die Tötung eines Lebewesens entsteht. Später gab Hetzel allerdings an, er sei falsch verstanden worden. Er habe gemeint, es hätte ihn bloß gefreut, seiner Bekannten einen Gefallen zu tun (nämlich die Katze zu töten). Die Tötung als solche habe ihm keinen Spaß gemacht.
Diese alten Geschichten interessierten die im Osten arbeitenden Gutachter nicht. Prokop und seine Kollegen hatten zu viele Wenden und Wendungen im Leben gesehen, als dass sie sich vom Vorleben und von Vorlieben des Mannes beeinflussen lassen wollten. Es ging ihnen um die im Mordfall beweisbaren Tatsachen und um sonst nichts.
Ihre Zweifel an den Gutachten aus dem Westen waren grundlegend und weitreichend. Prokop fiel nämlich auf, dass vor allem die Diagnose
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