Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
Tat zu tun.
Die Schockwellen dieses Falles erfassten drei Generationen von Rechtsmedizinern: Hans Hetzel sollte nicht einfach fremdgegangen sein, sondern eine Frau erdrosselt haben. Nach vierzehn Jahren Haft kam er durch die Feststellungen Otto Prokops frei.
»Sie sind jetzt über meine Ansicht zu den wichtigen Punkten orientiert«, schrieb Hansen an den Verteidiger. »Das Urteil gegen Hetzel ist meines Erachtens unhaltbar.«
Das war der Start eines Affronts erster Klasse. Sollte Hansens Bewertung an die Öffentlichkeit oder sogar in eine Wiederaufnahme gelangen, so wäre dies eine nicht nur wissenschaftliche, sondern auch persönliche Kriegserklärung.
Im Berliner Tagesspiegel fasste Florian Felix Weyh das Ganze so zusammen:
»Am 1. September 1953 nimmt der wegen verschiedener Delikte vorbestrafte Vertreter Hans Hetzel die 25-jährige Magdalena Gierth per Anhalterin mit, schläft mit ihr a tergo [von hinten] und muss erleben, wie sie während des Geschlechtsverkehrs tot zusammenbricht.«
Durch die Feststellung einer Herzmuskelentzündung im Obduktionsbericht und das Fehlen eindeutiger Merkmale für einen Erstickungstod stehen Hetzels Chancen vor Gericht zunächst gut. Aber Albert Ponsold, von Seiten der Staatsanwaltschaft hinzugezogen, beginnt die Gegenoffensive, indem er auf die Fotografien der Leiche verweist, auf denen er eindeutige Beweise für einen Strangulationstod festzustellen meint. Ponsold, so Weyh weiter, »zu jener Zeit eine unangreifbare bundesdeutsche Koryphäe, versteift sich auf eine ›Kälberstrick-Theorie‹, die sich neben dem Verdacht eines gewaltsamen Analverkehrs ins Bild vom sadistisch-perversen Lustmord fügt.
Im Koordinatensystem der 50er Jahre ist Hetzel damit geliefert und sitzt bis zur Wiederaufnahme seines Verfahrens vierzehn Jahre im Zuchthaus.
Im aufgewühlten Jahr 1968, noch vor der aufdämmernden Entspannungspolitik, ließ sich ein badisches Schwurgericht von einem DDR -Gutachter belehren, wie menschenverachtend schlampig die westdeutsche Justiz in Fragen der Gerechtigkeit vorgegangen war.«
Stein des Anstoßes war vor allem, dass Ponsold die Leiche nicht selbst in Augenschein genommen hatte, wie es juristischen Maßstäben entsprochen hätte. Weyh nimmt in seinem Artikel zudem an, dass die Schlussfolgerungen aus den vermeintlichen Würgemalen Ponsolds »sexuellem Schreckdenken« entsprangen. Er schließt:
»Kein Analverkehr, keine sadistische Orgie, sondern Herztod wegen einer möglichen Luftembolie durch die halb geöffnete Gebärmutter. Die bedauernswerte Tote hatte kurz zuvor einen dilettantischen Abtreibungsversuch unternommen.«
Doch soweit war es noch nicht. »Das Material erlaubt hinsichtlich der mittelbaren und unmittelbaren Todesursache auch für den erfahrenen Gerichtsmediziner keine zuverlässigen Schlüsse«, fasste zunächst Verteidiger Gross nach Hansens Vorgabe zusammen. »Weder Würgen noch Drosseln ist wegen der mangelhaften Sektionstechnik beweisbar. Der Abdruck eines Strickmusters eines Drosselwerkzeugs nach Art eines Kälberstricks oder eines anderen Drosselwerkzeugs kann aus der Fotografie auf keinen Fall abgelesen werden.
Mit Recht haben mehrere Sachverständige, die in diesem Verfahren oder danach tätig geworden sind, auf die Möglichkeit eines akuten Herztodes aufmerksam gemacht. Todesfälle beim Beischlaf sind nicht so ungewöhnlich, wie der Laie glaubt.«
Nun schlug Prokops große Stunde. Ob die Bissspuren »ein Rohheitsakt« waren, »der auf niedere Gesinnung schließen lässt«? Wohl kaum, so Prokop vor Gericht, denn »gebissen wird im Rahmen des Liebesaktes sicher häufiger, als gewöhnlich angenommen wird; es sind auch Mütter bekannt geworden, die ihre Kinder beißen, und das Sprichwort: ›Ich habe dich zum Fressen gern‹ charakterisiert die Situation.«
Auch dass nie ein Strick gefunden wurde, dass die Strangmarke nicht rings um den Hals lief und dass Frau Gierth kein Blut eingeatmet hatte, wie man es bei Schlägen gegen die Nase vermuten müsste, sah Prokop als Zeichen des plötzlichen und eben nicht durch Gewalt bedingten Todes an.
Die gabelförmige Marke am Hals erklärte Prokop anders als Ponsold damit, dass die Tote in beginnender Leichenstarre von der Straße in das »Brombeergesträuch« (also keine Hecke) geworfen worden war und dort mit fortschreitender Leichenstarre und dadurch bedingter Gewichtsverlagerung verrutschte. Da es sich um einen Hang handelte, schien es Prokop noch wahrscheinlicher, dass die Leiche nach und
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