Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
Wien, und sie malt immer noch. Die Bilder werden immer besser. Ich sage Ihnen, warum. Sie sieht auf einem Auge etwas schlecht, und jetzt macht sie auf ihre Bilder mehr Lichter – jetzt werden sie derartig plastisch und schön! Ich habe ein Bild zum Rahmen gebracht, ein Blumenbild, und da hat die Verkäuferin gesagt: ›Geben Sie mir das sofort! Ich gebe Ihnen dreitausend Mark dafür.‹ Da hab ich gesagt: ›Nein, nein, nein. Das bleibt bei mir. Das ist von meiner Mutter, ein wunderschönes Bild.‹«
Als einschneidend erlebte Prokop zudem die Februarkämpfe im Jahr 1934 in Wien: Zwischen dem 12. und 15. Februar starben hunderte Menschen im Kampf der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei gegen die den Austrofaschismus anstrebende Diktaturregierung von Engelbert Dollfuß (1892–1934). Es kam zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen.
»Was uns wirklich interessiert hat, das war die Februar-Revolution [Februarkämpfe] in Wien«, berichtete Prokop dazu. »Engelbert Dollfuß hat einen Aufstand der Sozialisten und Kommunisten niedergeschlagen. In eine Siedlung wurde hineingeschossen, im direkten Beschuss mit Feldkanonen. Es war schon tragisch.
Wir haben die Sache natürlich auch in St. Pölten erlebt. Auf der einen Seite lagen die Roten, wenn ich so sagen darf, und auf der anderen Seite lag die Heimwehr pro Dollfuß. Beide hatten dieselben Waffen. Wir als Kinder gingen hin und her und sagten: ›Ach, ihr habt ja dasselbe Maschinengewehr wie die.‹ So haben wir auch erlebt, wie einmal die Roten einen von der Heimwehr gefasst, gefangen und geschlagen haben. Das war schon ein Erlebnis. Einer hat dann gesagt: ›Du, pass mal auf, Pepi, den hättest du nicht so schlagen dürfen. Das hättest du nicht tun dürfen. Der kann ja auch nichts dafür, dass er bei der Heimwehr ist.‹ Und da hat er gesagt: ›Was soll ich denn machen?‹ – ›Wo hast du ihn denn hingetan? Hast’ ihn in den Keller eingesperrt?‹ – ›Naja, weißt’ was, wir kaufen einmal Gulasch und bringen ihm Gulasch.‹
Also, das hat mich schon, sagen wir, von der menschlichen Seite berührt. Und es sind ja später dann die geschlagenen Kommunisten, die Sozialdemokraten, zusammen mit den Nationalsozialisten übrigens, in Österreich in ein Konzentrationslager gekommen in Willersdorf. Das war ganz interessant, dass die zusammen da waren.«
Der Fall Dollfuß beschäftigte Prokop bis zum Ende seines Lebens und prägte in ihm das Misstrauen gegen offizielle Mitteilungen. »Als Österreicher hat uns diese Frage schon früh beschäftigt«, schrieben er und sein Bruder Ludwig später. »Wir haben [zwar] keine Möglichkeit gehabt, die Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß im Jahr 1934 genau zu verfolgen. Die Angeklagten waren [aber] die SS-Leute Planetta und Holzweber.
Dollfuß wurde von dem bekannten Gerichtsmediziner Professor Dr. Werkgartner (1890 –1970) obduziert und Planetta zum Tode verurteilt. Als die Nationalsozialisten 1938 den Anschluss Österreichs an Deutschland bewerkstelligt hatten, tauchten Gerüchte auf, die daran Zweifel äußerten.«
Die Angabe, dass die paramilitärische Nazi-»Schutzstaffel« (SS) Dollfuß umgebracht haben sollte, war für Prokop aus mehreren Gründen unverständlich. Dollfuß war nämlich ein katholischer, rechtsgerichteter Politiker, der zwar den Nazis, aber auch den Sozialdemokraten und jedem Mehrparteiensystem entgegenstand. Deshalb wurde seine Regierungsform auch »Austrofaschismus« genannt.
Dollfuß starb, als die damals illegalen Nationalsozialisten im Juli 1934 ins Kanzleramt eindrangen. Sie konnten den Regierungschef nicht absetzen, also ermordeten sie ihn.
Prokop saß als Jugendlicher der Flüsterpropaganda auf, dass Dollfuß nicht von Nazis, sondern von linken Kräften getötet worden sei. Zwar bemühten sich die Nationalsozialisten, den offensichtlichen Täter und SS-Mann Otto Planetta zu entlasten. Da Planetta aber von Zeugen bei der Tat gesehen wurde, zog man sich bald auf eine andere, rein technische Verteidigungslinie zurück. Sie sollte Verwirrung stiften, obwohl die Tatsachen längst klar waren:
Auf Dollfuß waren zwei Schüsse abgefeuert worden. Es war aber nicht klar, ob Planetta zweimal geschossen hatte. Besonders rätselhaft war das nicht, denn es waren noch zwei weitere Putschisten im Raum, Paul Hudl und der später ebenso wie Planetta hingerichtete Franz Holzweber. Entweder hatte also einer der beiden anderen auch geschossen oder eben Planetta zweimal.
»Ich kann mich nicht erinnern«,
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