Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
Beobachtung, die er im Krieg gemacht hatte. »Wenn die Soldaten beider Weltkriege Haare in ihre Wunden brachten, sofern sie die Absicht hatten, diese nicht zuheilen zu lassen, um dadurch ihre Abstellung zur Front zu verzögern«, schrieb Prokop, »so ist das das Ergebnis einer alten Tradition im Volke, eine Überlieferung des Wissens, dass sich Haare gewebsfeindlich verhalten.«
Von dieser Beobachtung aus schlug er einen Bogen zu Haaren als Mordwaffe. »Zwei Fälle aus der Bonner Umgebung machten uns mit dem Haarmord vertraut«, so Prokop. »In dem einen Fall verabfolgte eine Frau ihrem Mann auf einer Scheibe Brot feingeschnittene Rosshaare, über die sie Butter gestrichen hatte. Der Mann ist wiederholt damit ›vergiftet‹ worden, er starb und wurde schließlich auch exhumiert.
Ferner wurde eine Frau exhumiert, deren Mann in einem Liebesverhältnis zu der vorgenannten Frau stand. Auch sie soll das Opfer eines Haarmordes geworden sein.
Die durchgeführten Exhumierungen verliefen negativ. Organbrei wurde auf Platten ausgestrichen und nach Haaren durchmustert. Das Unternehmen war aber aus naheliegenden Gründen von vornherein aussichtslos, denn die Liegezeit der Leichen war schon zu lang.
In einem zweiten Fall schnitt eine Frau ihrem Mann einen Rasierpinsel in die Suppe. Der Mann wurde aber rechtzeitig gewarnt und aß die Suppe nicht.
Bekanntlich darf man dem Schlucken von Haaren keine allzu große Bedeutung beimessen, doch gibt es verschiedene Sorten von Haaren, denen große Bedeutung in forensischer Hinsicht zukommt. Hier sind von Wichtigkeit: Widerhäkchen, scharfe Schnittflächen und die Länge des Haares. Ein wesentliches Moment ist auch in dem Zustand der Darmschleimhaut zu sehen, auf die die Haare treffen.
Diese vier wichtigen Aspekte finden sich auch immer in den Giftmischungen primitiver Völker berücksichtigt. So gilt im Orient eine Mischung aus Eierschalen, Tigerhaaren und Bambushäkchen als Gift. Die Niasser [Bevölkerung der indonesischen Insel Nias] mischen Hunde-, Katzen- und Maushaare in Palmwein. In Indien nimmt man die Schnurrhaare von Tigern. Die Dajaks [Borneo] nehmen Raupenhaare, die besonders heimtückisch sein sollen.«
Prokop, ganz Experimentator, prüfte, was es mit solchen Überlieferungen auf sich hatte und wie die in Bonn angelaufenen Fälle zu bewerten waren. Allerdings ergab sich bei einem Versuchskaninchen selbst nach wochenlanger Gabe mit unter das Futter gemischten Pferdehaaren nur eine Blinddarm-Entzündung, aber kein Todeseintritt. Immerhin war der Blinddarm mit Haaren vollgestopft. Abgesehen davon stachen drei Haare durch den Darm. Diese Gefahr schien Prokop die eigentliche zu sein: dass beim Menschen kleine Haarstücke den Darm durchdringen und eine Bauchfellentzündung bewirken.
Otto Prokop arbeitete zwar ein Jahr lang (1948/49) am Pathologischen Institut der Universität Bonn, war aber von Herzen Rechtsmediziner. Pathologen beschäftigen sich vor allem mit Veränderungen des Körpers durch Krankheiten, während Rechtsmediziner »unnatürliche«, also nicht durch Krankheiten entstandene Todesfälle untersuchen. Auffällig ist die ausdrückliche Erwähnung von Prokops fotografischen Fähigkeiten und Interessen.
Dass Prokop Kaninchen als Versuchstiere verwendete, die ja Vegetarier sind und andere Darmbewegungen als Menschen ausführen – Kaninchen müssen beispielsweise ununterbrochen fressen, um den Darm in Bewegung zu halten –, lag schlicht daran, dass ihm aufgefallen war, dass Haustieren im Rheinland damals Glaswolle ins Futter gegeben wurde, um sie zu töten.
1953 habilitierte sich Prokop über das von da an wichtigste Thema seines Forscherlebens, die Eigenschaften von Blutgruppen: »Experimentelle Untersuchungen über die Sensibilisierung gegen Blutgruppenantigene«.
Bis dahin hatte er schon tiefe Erschütterungen erfahren. In dritter Generation aus einer Ärztefamilie stammend – auch seine Brüder und sein Sohn waren beziehungsweise sind Ärzte –, hatten sich Prokops Eltern scheiden lassen. »Zum Glück hatten wir ja die Großeltern«, seufzte er noch als alter Mann über diese für ihn unglückliche Trennung, die er als »Drama« bezeichnete.
Seine Mutter, Elfriede Bachmayr, war Malerin. In Österreich erhielt sie einen Staatspreis, und Prokop hielt ihre Gemälde in Ehren. Noch im Alter erinnerte er sich gegenüber der DEFA gerne an die Bilder seiner Mutter, von denen einige auch in seinem Büro hingen. »Meine Mutter ist alt«, so Prokop, »sie lebt in
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