Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
oder so, die war für uns kein Begriff.«
Diese Eindrücke hinderten Prokop nicht an einer nahezu kindlichen und oft genug auch nicht politisch begründeten, frühen Begeisterung für die Nationalsozialisten. »In der Schule war es ziemlich hart«, erklärte Prokop dazu. »Das Dollfuß-Regime war ziemlich hart. Wenn ich bedenke, wie genau ich kontrolliert wurde, wie oft wir zur Messe gehen mussten …
Ich bekam einmal zum Geburtstag von meinem Vater ein Buch geschickt. Die Eltern waren getrennt, ich durfte ihm nicht schreiben. Das Buch war aus Deutschland, ›Ein Kampf um Rom‹ von Felix Dahn [erstmals erschienen 1876]. Das Buch war auf dem Index, und da wurde ich aus der Schule entlassen.
Meine Mutter ging dann zum Schuldirektor und weinte und weinte: ›Lass doch den armen Jungen, der ist jetzt fünfzehn Jahre alt, und der kann ja auch nichts dafür, wenn der Vater ihm das schickt!‹
Da wurde ich wieder aufgenommen in der Schule unter einer Bedingung, nämlich, dass ich bei der Schulversammlung das ›Lied der Jugend ‹ aufsage [»Dollfuß-Lied«] – fehlerfrei.«
Druck dieser Art gefiel Prokop nicht. Er empfand die deutschen Regelungen dort als vergleichsweise angenehmer. »Zur Matura hatten wir seinerzeit Arbeiten in Deutsch … Da waren drei Themen«, erinnerte er sich. »Das eine Thema war ›Wie danken wir dem Führer für die Heimholung Österreichs in das Deutsche Reich?‹, das zweite war ›Was treibt das plutokratische [= nur an Geldgewinn interessierte] England in den Krieg gegen Deutschland?‹, und das dritte Thema war ›Nordische Züge bei deutschen Dichtern‹. Ich hab das leichteste genommen.«
Auf Nachfrage, welches das leichteste war, sagte er: »Das erste, also ›Wie danken wir dem Führer für die Heimholung Österreichs in das Deutsche Reich?‹«
Prokop kam mit den Deutschen besser klar als mit den Austrofaschisten, auch wenn er sich bis an sein Lebensende über die »preußische Unduldsamkeit« ärgerte. Jetzt war er aber jung und neugierig – und zugleich von der deutschen Propaganda und dem Glanz der Waffen eingenommen. Er wollte dem Muff und der Strenge seiner Heimat entkommen.
Trotz dieser Begeisterung erfuhr er Dämpfer, die ihn lebenslang fuchsten. »Zu Beginn des Krieges erlebte ich mehr als eine Erniedrigung«, berichtete Prokop. »›Als Österreicher können Sie in einer preußischen Abteilung kein Offizier werden‹, hieß es. Manche österreichischen Bundesheeroffiziere wurden 1938 sogar gegen deutsche Offiziere ausgetauscht! Man nannte uns ›Kamerad Schnürschuh‹, und wir waren damit zweite Garnitur.«
Das änderte sich aber schon nach einigen Monaten: Mit Beginn des Krieges fühlte sich Prokop im Kreis der Deutschen angenommen und angekommen.
Zwischen Ukraine und Rhein
Im März 1941 kam Prokop in die Kavallerie-Ersatzabteilung 18 (Nachrichtenabteilung) in Bad Cannstatt. In der Stabsbatterie »Schwere Artillerie«, Abteilung 602, gelangte er dann unter Führung der ersten Panzerarmee mit der Heeresgruppe A in die Südukraine.
Diese Truppenbewegung war Teil des deutschen Angriffes auf die Sowjetunion, der »Operation Barbarossa«. Hitler beschrieb die Aktion als »Aufmarsch, der in Ausdehnung und Umfang der größte ist, den die Welt je gesehen hat.«
Von 1941 bis Ende 1943 stand die Ukraine als »Reichskommissariat und Generalgouvernement« hauptsächlich unter deutscher Zivilverwaltung.
Der Überfall auf die Sowjetunion, hier eine Truppenaufstellung an der Grenze. Man beachte auch die damals noch üblichen Fahrradgruppen. Prokop nahm an der »Operation Barbarossa« teil und war als Soldat in der Ukraine.
Prokops Wehrmachts-Ausweis als Hilfsarzt (seine volle ärztliche Zulassung erfolgte erst 1951). Über die Erlebnisse im Krieg schwieg Prokop weitgehend. Man kann erahnen, was einer der unmittelbaren Gründe dafür war: Er sah Massen von Verletzten und Sterbenden und berichtete von gefrorenen Leichenbergen, an denen er im Einsatz immer wieder vorbeizog.
Dort erlebte Prokop, wie schon zuvor in Österreich, dass sich die Bevölkerung über den Einmarsch der deutschen Truppen teils freute. Viele Ukrainer glaubten, dass die ordentlichen und disziplinierten Deutschen ihnen ein besseres Leben ermöglichen würden.
Der Grund für diese Hoffnung war, dass die ukrainischen Landwirtschaftsbetriebe im Jahr 1932 – also schon vor dem Krieg – zwangszusammengelegt wurden. Das führte aber nicht zu den gewünschten Produktionssteigerungen, sondern zu einer
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