Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
Massaker von Babi Jar. »Ende 1941«, so das Deutsche Historische Museum, »wurden die Kiewer Juden auf Plakaten aufgefordert, sich zu Umsiedlungsmaßnahmen einzufinden. Dem Befehl folgten über 30 000 Menschen, die zur außerhalb der Stadt gelegenen Schlucht Babi Jar getrieben wurden.
Dort mussten sie Papiere, Gepäck sowie Wertgegenstände abgeben, sich vollständig ausziehen und sich in Zehnergruppen an den Rand der Schlucht stellen. Dann wurden sie niedergeschossen.
In Babi Jar ermordete das Sonderkommando laut einem Einsatzgruppenbericht am 29. und 30. September 3 3 771 Juden. In den folgenden Monaten wurden dort tausende weiterer Juden erschossen.
Auch als Zigeuner verfolgte Menschen und sowjetische Kriegsgefangene zählten zu den späteren Opfern. Insgesamt wurden nach Untersuchungen der sowjetischen Staatskommission in Babi Jar rund 100 000 Menschen ermordet.
Im Juli 1943, während des deutschen Rückzugs, sollten die Spuren des Massenmords verwischt werden. Polizeieinheiten der Sonderkommandos ließen Insassen eines nahe gelegenen Lagers die Leichen ausgraben und verbrennen.«
Getötet wurden auch alle politischen Funktionsträger der Sowjets. Auslöser dafür war der berühmte Befehl Hitlers, den er am 6. Juni 1941 aus dem Führerhauptquartier sendete:
»Von den politischen Kommissaren [sowjetischen Führern] ist eine hasserfüllte, grausame und unmenschliche Behandlung unserer Gefangenen zu erwarten. Sie sind daher, wenn im Kampf oder Widerstand ergriffen, sofort mit der Waffe zu erlegen.«
Obwohl manche Ukrainer Hoffnung in die Deutschen gesetzt hatten, wurden sie bitter enttäuscht. Die Nahrungsmittel wurden abtransportiert, und Kiew brannte. Hier ein Bild aus dem Jahr 1941.
Auf dem Rückzug im Jahr 1943 zerstörte die deutsche Wehrmacht außerdem viele Dörfer und Städte. Man wollte den neuen Herrschern verbrannte Erde hinterlassen. Dabei wurden ganze Ortschaften in Schutt gelegt, aber auch Bahnschienen und elektrische Anlagen zerstört. Vor allem wegen dieser Maßnahmen gab es zum Ende des Krieges in der Ukraine etwa zehn Millionen Obdachlose.
Egal, was Prokop davon wusste oder nicht, ich bin mir sicher, dass er ein schlechtes Gewissen hatte. So übergab er mir beispielsweise einen militärpolizeilichen Bericht vom Oktober 1948 aus Wien. Darin stand, dass es in mehreren Konzentrationslagern keine Tötungen mit Giftgas gab, darunter Bergen-Belsen, Dachau, Mauthausen, Neuengamme, Ravensbrück und Theresienstadt. »In diesen Fällen konnte nachgewiesen werden, dass Geständnisse durch Folterungen erpresst wurden und Zeugenaussagen falsch waren« – so steht es im Bericht von Major Müller, Leiter des Militärpolizeilichen Dienstes. Was mir dieser Bericht sagen sollte, weiß ich nicht. Denn dass nicht in allen Konzentrationslagern Vergasungen stattgefunden haben, ändert nichts an den Verbrechen, die dort und auch sonst im Krieg verübt wurden.
Der Tod rückt näher
Wie viele andere deutsche Soldaten sah Prokop in Russland seine Kameraden sterben. Er erinnerte sich besonders daran, dass ein neben ihm stehender Soldat einen Bauchschuss erlitt. Prokop hielt die Verletzung angesichts der kleinen Eintrittswunde für überlebbar und sprach dem Soldaten Mut zu. Im Lazarett musste er aber mit ansehen, wie sein Kamerad starb und ihm sterbend die Anschrift seiner Verlobten mitteilte.
Eine weitere für Prokop einprägsame Begebenheit war, dass sich die Kampflinie in der Ukraine immer wieder vor und hinter große Pakete vereister, aufeinandergeschichteter toter Kameraden verlagerte. »Sie wollten sie wohl verbrennen«, berichtet dazu Prokops Freund Professor Gerd Uhlenbruck. »Das ging aber nicht. Prokop erzählte, wie die Front sich immer wieder vor und zurück bewegt hat, immer wieder an diesen geordneten Leichenstapeln vorbei – eben nicht Bergen, sondern Stapeln – und wie sie aussahen.«
Spätestens hier muss Otto Prokop klargeworden sein, dass es im Krieg keine Gewinner gibt. Bis ins hohe Alter machten ihm die Erlebnisse, besonders die Fehleinschätzung der Bauchwunde seines Kameraden, schwer zu schaffen. Er konnte nur stockend davon erzählen. Doch darin kondensierte sicher nur das, was Prokop angesichts seiner Kriegserfahrungen fühlte und ihn seelisch überschwemmte.
Nachträgliche Zuerkennung des Verwundeten-Abzeichens in schwarz. Diese Verletzung erwähnte Prokop niemandem gegenüber, den ich
sprach, auch mir gegenüber nicht.
Bei den Kämpfen wurde Prokop verletzt, allerdings nicht
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