Seziert: Das Leben von Otto Prokop (German Edition)
auf politische Überlegungen ein. Seine Forschungen »mit der elektronischen Datenverarbeitung durch den Siemens-Computer 4004 / 55« fanden inmitten der politisch linken Studentenproteste statt. Dalicho sprach sich im absoluten Gegensatz zum Zeitgeist für Sterilisationen zur Gesunderhaltung der Menschheit aus. »Schließlich erwartet man von uns nicht nur eine gebührende Zurückhaltung im Urteil«, schrieb Dalicho, »sondern auch einen eigenen Standpunkt.«
Sein Standpunkt, den er unter der Leitung des Institutsdirektors Günther Dotzauer entwickelte, lautete, dass »in absehbarer Zeit alle Kulturvölker gezwungen sein werden, sich mit eugenischen Maßnahmen – auch mit der Sterilisation – zu befassen. Doch vorher muss im Volke Verständnis für die Notwendigkeit einer Erbhygiene, der Wille zur Eugenik, wieder geweckt werden.« Noch einmal: Diese Worte stammen aus dem Jahr 1970 und aus dem Kölner Institut für Rechtsmedizin. Es war zu diesem Zeitpunkt längst widerlegt, dass Eugenik zu weniger Verbrechen und Krankheiten führte. Dennoch hielt sich das schwüle Gedankengut bei manchen Ärzten.
Schuld an diesen Irrtümern ist auch die schon weit über hundert Jahre alte Überlegung, dass die Zuwanderung und »Vermehrung« sozial schwacher Menschen angeblich eine Verringerung der Zahl intelligenterer Menschen mit sich bringt. Dieser uralte Hut wurde vom SPD- Politiker Thilo Sarrazin – allerdings ohne die Forderung nach eugenischen Maßnahmen – kürzlich wieder ausgegraben.
Tatsächlich steigt der durchschnittliche Intelligenzquotient mit verbesserten sozialen Chancen. Das bedeutet, dass es genügt, Menschen ausreichend Bildung und Aufstiegsmöglichkeiten zu geben. So ist das Problem der angeblichen Intelligenz-Unterwanderung lösbar.
Experimentell betrachtet und bewiesen wurde das schon zwischen 1932 und 1947 an über 70 000 schottischen Kindern. »Es gibt keine Grundlage dafür zu glauben, dass die in unserer Gesellschaft wirkenden biologischen Kräfte zu einem dramatischen Intelligenzabfall führen«, schrieben Leslie Dunn (Genetiker, 1893–1974) und Theodosius Dobzhansky (Evolutionsgenetiker, 1900–1975) dazu 1952. »Innerhalb bestimmter [sozialer] Gruppen in den Vereinigten Staaten haben gerade die intelligenteren Mitglieder die meisten Kinder. Manche Leute haben offenkundig soziale und ökonomische Fakten vorschnell biologisch interpretiert.«
Denn dass die Welt des Lebens kompliziert ist, erkennt man eben nicht aus rein buchhalterischen Rechnungen, wie sie etwa Sarrazin in moderner Form oder Doktorand Dalicho in den 70er Jahren aufstellten. Wer sich wie Sarrazin oder Dalicho vorwiegend für Daten interessiert, kann deshalb noch lange nicht alle biologischen oder soziologisch beschreibbaren Abläufe durchdringen.
Prokop beschäftigte sich bis zuletzt mit dem Thema Euthanasie, obwohl er – wie auch beim Thema Todesstrafe – klare Aussagen dazu vermied. In dem Buch »Euthanasie und Vernichtung ›lebensunwerten Lebens‹« aus dem Jahr 1965, das Prokop mir schenkte, strich er kommentarlos mehrere Stellen an, die sich auf die »Legalisierung des Mercy-Killing«, also die Sterbehilfe bei Schwerstkranken, an unerträglichen Schmerzen leidenden Personen, beziehen. Diese sehr menschliche Einstellung aber ausgerechnet durch Anstreichungen in einem Buch über Euthanasie vermitteln zu wollen, fand ich eigentümlich. Ich habe nie erfahren, was Prokop wirklich darüber dachte.
Wissen und Wissenschaft
Dass Otto Prokop als niederrangiger Soldat die ideologischen und politischen Pläne der Osterweiterung – auf Kosten des Lebens der dortigen Bevölkerung – kannte, ist nicht anzunehmen.
Allerdings gab es für ihn andere unübersehbare Hinweise darauf, dass durch die Deutschen in der Ukraine viel Schlechtes geschah. Wie schon beim »Anschluss« Österreichs gab es nämlich auch in der Ukraine sehr wohl sichtbaren Widerstand gegen die Besatzer. Kein Wunder: Zwischen Dezember 1941 und August 1942 verhungerten beispielsweise in der Stadt Charkow in der nordöstlichen Ukraine über 12000 Menschen nach dem Abtransport der örtlichen Ernte nach Deutschland. Bis zum Abzug der deutschen Truppen im Jahr 1943 starben in der Ukraine mehr als sechs Millionen Zivilisten. Darunter waren auch etwa eine Million Juden, deren Tod besonders gerne in Kauf genommen wurde. Aber auch sowjetische Kriegsgefangene wurden in der Ukraine reihenweise umgebracht.
Eines der bekanntesten deutschen Delikte in der Ukraine war das
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