SGK264 - Im Wartesaal der Leichen
den
Schaufenstern und Neonreklamen wurden eingeschaltet.
Dumpf und bedrohlich hörte sich das Grollen an, das sich über die
Stadt wälzte. Riesige Wolkenberge türmten sich zwischen den Hochhäusern und
über dem Hafen aus, als kündeten sie den nahen Weltuntergang.
Die Leute auf der Straße beeilten sich, ihre Wohnungen zu
erreichen, ehe das Unwetter losbrach.
Die Taxis waren vollbesetzt, nicht minder die Rikschas, die von
schwitzenden, rennenden Kulis gezogen wurden.
Dann fielen die ersten Tropfen. Einzeln und schwer klatschten sie
auf die staubige, trockene Erde und wurden von dem warmen Pflaster aufgesogen.
X-RAY-3 begann ebenfalls zu rennen. Er hatte Glück, gerade eine
Grünphase für Fußgänger zu erwischen. So konnte er die andere Straßenseite
erreichen.
Noch etwa dreißig Schritte bis zu dem kleinen, schmalen Haus mit
dem knallroten Schild über dem Eingang ...
Darauf stand Gelegenheiten und An- und Verkauf.
Es handelte sich um ein altes Wohnhaus, dessen unterste Etage irgendwann
mal nachträglich zu einem Ladengeschäft umfunktioniert worden war.
In dem trüb beleuchteten Schaufenster lagen allerlei Dinge und
Gerümpel. Larry bekam es nur beiläufig mit. Er drückte die schmale Tür nach
innen, und eine mechanische Glocke bimmelte.
Dann brach draußen der Regen los, der Wind fuhr durch die Gassen,
wirbelte abgerissenes Blattwerk, Papierfetzen und alte Zeitungen durch die Luft
und trieb leere Cola- und Bierdosen in der Gosse vor sich her.
An manchen Stellen sah die Straße aus, als hätte jemand die
Abfallkörbe an den Haltestellen und Kreuzungen ausgeschüttet.
In dem kleinen Laden roch es feucht und muffig.
Eine alte Theke stand dem Eingang genau gegenüber, dahinter führte
eine Tür in einen Nebenraum.
Das kleine Geschäft war mit Krimskrams überladen.
Bergeweise stapelten sich Bücher und gebündelte Zeitschriften in
den Ecken, an Wandhaken hingen alte, getragene Kleider und Bilder, die seltsame
Landschaften mit Drachen und Szenen aus dem höfischen Leben chinesischer Kaiser
und Kaiserinnen zeigten.
Sehr beliebt waren offensichtlich auch Schwerterkämpfe, wie eine
ganze Bildserie bewies, die sich wie ein Leporello entlang der Tür und über das
Schaufenster zog.
Es gab auch technische Geräte wie Haartrockner, Fotoapparate,
Schmalfilmprojektoren, die in einem grob genagelten Regal in stummer Eintracht
nebeneinander standen.
Larry Brent konnte sich schlecht vorstellen, daß man von diesem
Gerümpel zu leben vermochte. Aber hier in Hongkong schien alles möglich.
Dann kam der Inhaber aus dem Hinterraum.
Thai Hong.
Er war für chinesische Begriffe ein großer Mann mit breiten
Schultern. Auf seinem Stiernacken saß ein massiger Kopf mit platter Nase,
leicht schräggestellten Augen und dünnem, kurz geschnittenem Haar.
Bei seinem Anblick mußte X-RAY-3 unwillkürlich an einen
japanischen Sumokämpfer denken, jene fetten Ringer, deren Kämpfe bei
Hunderttausenden beliebt waren.
»Guten Tag, Sir«, sagte Thai Hong mit dunkler Stimme. »Sie
wünschen ?«
»Ich habe gehört, daß Sie sich auf die Kunst des Tätowierens verstehen .«
»Richtig, Sir«, fiel der Hongkong-Chinese dem Amerikaner ins Wort,
noch ehe der seinen Satz beenden konnte.
»Ich bin nur noch ein paar Tage hier. Geschäftlich, verstehen Sie?
Ich habe mir gedacht, mal ein besonderes Souvenir mitzubringen: Vielleicht eine
Lotusblume auf dem Unterarm oder einen feuerspeienden chinesischen Drachen auf
der Schulter. Irgend etwas wird Ihnen da schon einfallen .«
»Natürlich, Sir. Dafür bin ich schließlich Spezialist. Ich habe
elfhundert Vorlagen, die sich noch variieren lassen. Und dann natürlich die
Farbzusammenstellung. Heutzutage ist man nicht mehr so prüde, nur das
herkömmliche Blau zu verwenden. Ich zaubere Ihnen ein Gemälde auf die Haut, daß
Ihre Freundin Sie nur noch entblättert sehen will .«
Hong lachte. Er sah unangenehm aus, als er seine Zähne zeigte. Sie
waren groß und gelb. Ein richtiges Pferdegebiß.
»Woher, Sir, wissen Sie eigentlich, daß ich so kleine Spielchen
mache? Draußen ist doch nichts angeschrieben ...«
»Ganz einfach. Man hat Sie mir empfohlen. Ich glaube, daß jede
dritte Tätowierung in Hongkong von Ihrer Hand stammt .«
»Irrtum, Sir ... es ist jede zweite !« Er
lachte wieder.
»Dieser Geschäftsfreund, den ich getroffen habe, hat einem anderen
Bekannten Ihre Dienstleistungen ebenfalls empfohlen«, hakte Larry Brent nach,
dem es darauf ankam, so schnell wie möglich zum
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