SGK264 - Im Wartesaal der Leichen
Wesentlichen zu kommen. »Er muß
schon bei Ihnen gewesen sein. Eigentlich wollte er mir nach seinem Besuch hier
das Kunstwerk zeigen .«
»Wer soll das gewesen sein, Sir ?«
»Ein großer Mann mit rotem Haar und rotem Bart. Ein Russe. Er
nennt sich Iwan Kunaritschew .«
Larry Brent erwähnte dies scheinbar beiläufig.
Er war überrascht, als Thai Hong auf eine Weise reagierte, die er
eigentlich nicht erwartet hatte. Er hatte eher angenommen, Hong würde sich ahnungslos
stellen.
Doch genau das Gegenteil trat ein.
»Aber natürlich, Sir... er war hier .«
»Und wann ist er gegangen ?«
»Vor etwa einer Viertelstunde. Er sagte, er hätte es sehr eilig,
er müsse noch einen Besuch machen .«
Lügner, schallte es durch Larrys Gehirn. Du verstehst es zwar
ausgezeichnet, deine Rolle zu spielen, aber mich führst du nicht hinters Licht.
»Das Motiv, das Mister Kunaritschew wählte«, fuhr Thai Hong
unvermittelt fort, »hatte es in sich. Es war sehr kompliziert. Deshalb hat es
länger gedauert, als wir ursprünglich geplant hatten. Der Kunde will sogar noch
mal kommen, um die Farbintensität zu verstärken. Wenn es Sie interessiert - ich
habe von dem Motiv eine detaillierte Zeichnung. Ich glaube, es würde auch Ihnen
gefallen. Bitte, kommen Sie doch mit! Hier herein. Der Raum dort hinten ist
speziell für diese Zwecke eingerichtet .«
Hong machte eine einladende Geste zur Hintertür, die weit offen
stand. Dahinter befand sich eine längliche, düstere Diele, in der es außer
einem Schirmständer und einem Garderobenhaken nichts weiter gab. Die Tapete war
alt und vergilbt, und ein Muster war nicht mehr zu erkennen.
X-RAY-3 war auf der Hut.
Thai Hong konnte seine Rolle so gut spielen, wie er wollte. Er
ahnte nichts von dem wirklichen Zusammenspiel zwischen Kunaritschew und Larry
Brent. X-RAY-7 wäre keine zehn Minuten länger geblieben, ohne seinem Freund Larry eine Nachricht zukommen zu lassen, von
dem er wußte, daß er sich zu einem bestimmten Zeitpunkt im Dragons Love
aufhielt.
Alles sprach dafür, daß der Russe nicht mehr dazu imstande gewesen
war.
Auch ein Versuch, ihn über den Miniatursender zu erreichen, der im
PSA-Ring Brents eingebaut war, hatte sich als Fehlschlag erwiesen.
Iwan Kunaritschew alias X-RAY-7 hatte nicht darauf reagiert!
Diese Tatsache ließ das Schlimmste befürchten. X-RAY-7 war
ausgeschaltet.
In diesem Haus?
Alles, was Larry während der letzten Minuten erlebt hatte, ließ
den Schluß zu, daß Thai Hong allen Grund hatte, ihm die Wahrheit zu
verschweigen.
Was war geschehen?
Unruhe und Angst erfüllten Brents Herz.
Als er auf Thai Hongs Höhe stand, deutete der Chinese in die
düstere Diele. »Bitte, Sir, gehen Sie voran .«
»Bitte nein, Mister Hong - tun Sie das! Ich folge Ihnen gern. Ich
weiß schließlich nicht, wo sich das niedliche Nebenzimmer befindet, in dem Sie
Ihre Tätowierungen an den Mann bringen .«
»Nicht nur an den Mann, Sir, auch an die Frau. Sie würden sich
wundern, wie viele schöne Damen sich an delikaten Stellen von mir ein paar
hübsche Bilder in die Haut nadeln lassen .«
Er lachte rauh und trocken, Dann ging er Larry Brent voran.
*
»Verdammt noch mal«, fluchte Chan Tsu. Er trat fester in die
Pedale, um schneller zu sein. Er stemmte sich gegen den Wind, der plötzlich
aufgekommen war. Die ersten Regentropfen waren zu spüren. »Hätte dieses Wetter
nicht noch eine Viertelstunde halten können ?« stellte
er sich im Selbstgespräch die Frage. »Jetzt ist man den ganzen Tag unterwegs,
von den anderen kann man sowieso nichts verlangen, und wenn man nach Hause
kommt, wird man auch noch davon abgehalten, das zu tun, was gemacht werden
muß.«
Er dachte an das reparaturbedürftige Dach.
Das Unwetter kam über das offene Meer und erreichte die Stadt. Bis
es an die Berge stieß, war es nur noch eine Frage von Minuten.
Chan Tsu fuhr so schnell, wie es ihm möglich war.
Er kam aus dem Hafenbezirk. Dort arbeitete er bei einer
Export-Import-Firma. Heute war nicht viel zu tun gewesen, und er hatte zwei
Stunden früher als sonst seine Arbeitsstelle verlassen können.
Auch Mi und die beiden ältesten Söhne befanden sich augenblicklich
außer Haus. Chans Tochter schien sich nach dem Vorfall letzte Nacht wieder
gefangen zu haben und hatte am Morgen mit keinem Wort mehr die Angelegenheit
erwähnt.
Mi Tsu arbeitete in einem kleinen Touristenhotel nahe am Hafen,
ebenfalls meistens bis zum späten Nachmittag nach der Kaffeezeit. Dann wurde
sie von
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