SGK306 - Dr. Tschang Fu - Der Unheimliche kehrt zurück
...«
»Aber es müßte auch andere Leute geben, die den Professor zu
seinen Lebzeiten kannten... «
»Er war ein Sonderling, lebte allein in seinem Haus und hat nie
Besuche empfangen. Es ist ein Wunder, daß Toshio es gelang, ihn zu einem ersten
Gespräch zu überreden, dem schließlich weitere folgten. Andere Bekannte? Ich
werde diesen Tip aufnehmen und nach ihnen suchen ... nach unserer Rückkehr vom
Flug...«
*
Morna Ulbrandson kam in dieser Nacht spät ins Bett.
Und selbst dann konnte sie nicht gleich einschlafen, sondern lag
noch über eine Stunde wach.
In den frühen Morgenstunden fiel sie in einen leichten, traumlosen
Schlaf.
Sie erwachte früh und fühlte sich wie gerädert. Jetzt verspürte
sie erst den Wunsch, richtig auszuschlafen und sich noch mal auf die Seite zu
drehen, aber es half alles nichts. Die Zeit war knapp bemessen.
Murrend stieg die Schwedin aus dem Bett, schob die langen Beine
über den Bettrand und gähnte herzhaft.
Unter der eiskalten Dusche erwachten ihre Lebensgeister.
Morna frühstückte ausnahmsweise nicht ausgiebig, knabberte
gedankenversunken an ihrem Gebäck, sprach aber dem Tee herzhaft zu. Es war ein
grüner Tee, der sie völlig auf die Beine stellte. Nach einer Viertelstunde
fühlte sie sich wie neugeboren und voller Tatendrang.
Sie verließ das Hotel gegen halb sieben. Tokio war in eine
messingfarbene Morgensonne getaucht, doch vom Kontinent her wälzten sich
gewaltige Wolkenberge.
In der Riesenstadt herrschte ein Betrieb wie in einem
Bienenschwarm. Hunderttausende von Menschen waren unterwegs, zu Fuß, per Bus,
Bahn, Taxi, mit dem Privatwagen ... Die Hektik war nicht mehr zu überbieten.
Morna fuhr direkt mit dem Taxi zum Haus Toshio Kawasakos.
Alles war unverändert, die Haustür verschlossen ,
die Hintertür unverschlossen, hinter dem Haus stand die Honda.
Morna Ulbrandson blickte sich aufmerksam um.
Komaso hatte angedeutet, daß er die Schwedin bei ihrem Rundgang
eventuell begleiten würde, wenn er es sich zeitlich irgendwie einrichten
könnte.
Er war nicht da.
Wahrscheinlich war er mit den letzten Vorbereitungen für den Flug
zum Jukai beschäftigt.
»Kawasako hat ein offenes Haus«, hörte sie wie ein Echo Komasos
Stimme in sich nachhallen. »Für alle Eingeweihten liegt immer ein Schlüssel auf
dem vordersten
Querbalken unter dem Schuppendach - oder die Hintertür steht ganz
und gar offen...«
Das war der Fall.
Morna betrat das Haus.
Grau sickerte das Tageslicht durch die kleinen Fenster.
Eine eigenwillige Atmosphäre umgab sie.
Die Luft war kühl und geschwängert von einem eigenartigen,
unbeschreiblichen Duft.
»Mister Kawasako?« Sie konnte es einfach nicht lassen, nach dem
Mann zu rufen, der hier wohnte, dessen Geisterstimme sich am Telefon meldete -
der aber körperlich nicht anwesend war. Vorausgesetzt, sie konnte Komasos
Aussagen Glauben schenken.
Ihr Rufen verhallte. Antwort erfolgte nicht.
Außer ihr war ganz offensichtlich niemand im Haus.
Sie begann im Parterre, öffnete jede Tür und warf einen Blick in
die dahinter liegenden Räume. Es gab besonders viele Schlafzimmer. Das warf bei
ihr die Frage auf, ob sie schon zu Motas Lebzeiten entstanden waren oder erst
von Toshio Kawasako eingerichtet wurden. Zumindest war ihr bei Kawasako
bekannt, daß er oft und viele Gäste beherbergt hatte .
Auch in der ersten und zweiten Etage waren alle Wohnungen
eingerichtet, als würden hier ständig Menschen wohnen.
Aber Morna stieß auf niemand in dem großen Haus. Es war wie
ausgestorben.
Am interessantesten waren die Zimmer in der ersten Etage
eingerichtet. Fast alle Räume dienten als Bibliothek, es war die umfangreichste
private Sammlung, die sie jemals gesehen hatte.
Das Holz der Regale und die Bücher waren alt. Einige rochen
pfeffrig.
Sie nahm den einen oder anderen Band zur Hand.
Fast alle waren in japanischer Sprache verfaßt. Manchen Text
konnte sie lesen. Es war eine düstere, unfreundliche Welt, die geschildert
wurde. Es war die Rede von bösen Zauberern, Geistern und unheimlichen
Geschöpfen, die Menschen manipulierten, töteten oder sich ihrer bedienten. Der
Tod war dabei ein Merkmal, das augenfällig war.
Mit dem Tod unschuldiger Opfer wurde die Kraft schwarzer Magie
bezahlt.
Und dann entdeckte Morna ein Buch, das älter war als alle anderen,
die sie bisher in der Hand gehalten hatte.
Der Umschlag war brüchig, die Seiten stockfleckig. Der Text war
mit zahlreichen feinsten Federzeichnungen illustriert.
Text und
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