SGK312 - Die 17 Kammern des Grauens
grinste. »Ich weiß. Man merkt’s schon an der Schreibweise und am Alter. Er ist
ganz köstlich .«
»Kein Wunder. Fünf Jahre Lagerzeit,
dann noch zwei Jahre Abwarten , bis er in den Verkauf
gelangt, so einen Tropfen wissen nur Kenner zu schätzen.«
»Na, ich versuch’s mal«, Oltsen war ein zugänglicher Mensch. »Ich sag’s Ihnen dann
nachher, wie’s mir geschmeckt hat. Aber da Sie gerade da sind. Ich wollte Sie
noch etwas fragen .«
»Ja, Sir?« Der Wirt legte den Kopf ein
wenig schräg, als könne er dadurch besser zuhören.
»Ich benötige für die Nacht ein
Zimmer. Kann ich bei Ihnen unterkommen ?«
»Kein Problem. Übernachtungsgäste sind
hier selten. Ich lasse Ihnen das Zimmer zurecht machen .«
»Danke .«
Oltsen mischte seinen Whisky mit dem frischen
Wasser, das in einem Krug bereitgestellt wurde und ließ diesmal das Eis weg.
Vorsichtig kostete er. Ungewohnt, der Geschmack, aber es stimmte, was der Wirt
sagte, das volle Aroma des Whisky kam erst jetzt richtig zur Wirkung.
Da ging wieder die Tür auf.
Die Köpfe der Anwesenden ruckten
herum, und manche bekamen Stielaugen, als sie die Frau auf der Schwelle stehen
sahen.
Eine Frau in Cock’s Kneipe! Die Sensation war perfekt. Es würde plötzlich so ruhig, daß man eine
Stecknadel hätte fallen hören.
Mary war da.
Die Frau mit dem auffallend blonden
Haar trug einen dunklen Umhang mit einer Kapuze.
Mit sicherem Blick erspähte sie den
großen, muskelbepackten Mann, der alle anderen um Haupteslänge überragte.
Henrik van Oltsen saß so, daß er den Eingang überblicken und selbst gesehen werden konnte.
Mary steuerte sofort auf ihn zu. In
dieser nur von Männern besuchten Kneipe bewegte sie sich mit festem Schritt und
ohne die geringste Unsicherheit.
Die Blicke aller waren auf sie
gerichtet.
Mary lächelte froh, begrüßte van Oltsen mit einem Kuß und ließ sich an seinem Tisch nieder.
»Alles okay, Henrik? Wie fühlst du
dich ?« Sie fuhr ihm durch das dichte, schwarze Haar
und strahlte ihn an wie eine Liebhaberin, die sich freute, den Geliebten nach
langer Zeit wieder zu sehen.
»Ich bin fit. Es kann losgehen. Ich
freue mich, deine Stimme zu hören, dich zu sehen .« Er
war Frauen gegenüber − trotz aller Erfolge, die er im Leben gehabt hatte
− immer etwas gehemmt gewesen. Wahrscheinlich hing das mit seiner Größe
und Kraft zusammen, so daß er Angst hatte, sie anzufassen. Er mußte befürchten,
sie zu zerbrechen. Diese Angst hatte ihn nie ganz verlassen. Aber seltsam, in
Marys Gesellschaft kam dieses Gefühl nie auf. Er fühlte sich bei ihr verstanden
und geborgen wie bei einer Mutter. »Ich habe schon befürchtet, du hättest unser
Rendezvous vergessen .«
»Nein, so etwas vergißt man nicht.
Überhaupt dann nicht, wenn etwas sich dem Ende zuneigt .« Sie unterbrach sich, als der Wirt an den Tisch kam, um nach ihren Wünschen zu
fragen. Mary ließ sich einen John Power bringen. Pur.
»Ich hoffe, daß damit nicht alles zu
Ende sein wird ?« ließ Henrik van Oltsen sich vernehmen.
»Nein, nur ein Teil der Geschichte.
Danach geht’s mit Riesenschritten
weiter. Daß ich nicht früher kommen konnte, hängt damit zusammen, Henrik, daß
ich noch einige Vorbereitungen treffen mußte. Es geht plötzlich schneller vom
Fleck, als ich zu hoffen wagte. Entschuldige bitte meine Verspätung.
Noch heute nacht kann das Unternehmen
starten, von dem ich dir soviel und doch so wenig gesagt habe. Es geht um ein
gewaltiges Vermögen, Henrik. Es liegt brach, es gehört niemand, weil niemand
dran kann .« Unwillkürlich hatte sie die Stimme
gesenkt, damit niemand an den Nachbartischen etwas von dem verstand, was sie
sagte. Doch die Gefahr bestand nicht. Die Anwesenden hatten die erste
Überraschung verdaut und waren wieder zu ihren Gesprächen zurückgekehrt. Nur
hin und wieder trafen Mary noch verstohlene Blicke. »Der Schatz liegt seit
Jahrhunderten an einem Ort, der nur unter größten Schwierigkeiten zu erreichen
ist. Man muß Kraft und Ausdauer und Mut haben .« Sie
blickte ihn an. »Alles Attribute, die du mitbringst, Henrik. Der Moment, dir
alles zu erklären, ist gekommen, um dir die Möglichkeit zu geben, richtig zu
entscheiden. Du kannst noch immer abspringen, denn die Sache ist, wie bereits
erwähnt, nicht ganz ungefährlich. Insgesamt sind es siebzehn Kammern, die
überwunden werden müssen. Mit Kraft, Ausdauer und Mut. Am Ende des Weges dann
liegt der Schatz, der legendäre Reichtum der Hampton-Familie .«
»Wer ist das
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