SGK330 - Tanzplatz der Verfluchten
unverändert. Nicht mal seine besten Freunde - Morna und Iwan - ahnten etwas
von dieser doppelten Identität.
Morna Ulbrandson warf einen Blick auf
das vierstöckige Mietshaus, das auf der anderen Straßenseite stand.
In der zweiten Etage wohnte Horst Kaichens Mutter. Der Vater war vor drei Jahren nach
schwerer Krankheit gestorben. Seitdem lebte die Witwe allein.
Kurz nach dem Gedankenaustausch mit
Larry Brent hatte Morna sich entschlossen, noch mal den Versuch zu einem
Gespräch mit Frau Kaichen zu machen.
Da dies nicht ohne Voranmeldung ging,
suchte sie die nächste Telefonzelle auf und rief an.
Nach dem dritten Klingelzeichen war
die Teilnehmerin am Apparat.
Morna sprach freundlich zu ihr und
sagte, dass es einige neue Aspekte gäbe, die sie gern
mit ihr erörtert hätte.
Anna Kaichen machte am Telefon einen
etwas verunsicherten Eindruck. Sie war mit Mornas erneutem Besuch nicht
einverstanden. Ihr waren Zweifel gekommen, ob es überhaupt richtig gewesen war,
die Schwedin zu empfangen und mit ihr zu sprechen.
»Ich nutze meinem Jungen damit
bestimmt nicht«, sagte sie beunruhigt. Sie kam wieder auf das alte Problem zu
sprechen. »Es ist besser, wenn wir uns nicht mehr sehen, obwohl ich ... ich
weiß nicht...«
Die Art und Weise, wie sie redete,
erfüllte Morna mit Sorge.
Anna Kaichen machte sich Vorwürfe und
ließ andererseits aber erkennen, dass das Gespräch
mit Morna doch angenehm gewesen war. Es hätte ihr gutgetan, sich mal richtig
auszusprechen - obwohl sie sicher nicht alles gesagt hatte, wie die feinfühlige
Agentin spürte.
Anna Kaichens Stimme klang am Telefon nicht fest.
Morna hegte den Verdacht, dass die Sprecherin etwas getrunken hatte.
»Ich werde Sie nicht lange aufhalten«,
versicherte sie. »Im Interesse Ihres Sohnes.«
»Ich weiß nicht...«, Anna Kaichen seufzte.
»Nein ... bitte nicht..., nicht jetzt... ich mache Ihnen einen Vorschlag, Frau
Ulbrandson ... ich werde Sie anrufen, wenn es mir passt ...
ich habe die Telefonnummer, die Sie mir hinterlassen haben. Sie sind doch noch
im gleichen Hotel, nicht wahr ?«
»Ja.«
»Ich werde Sie bestimmt anrufen ...
Sie können sich darauf verlassen. Nur im Moment... Sie verstehen, im Moment passt es mir gar nicht... ich erwarte noch Besuch ...« Das
hörte sich fast überzeugend an.
Mit gemischten Gefühlen legte Morna
Ulbrandson auf.
Als sie die Telefonzelle verließ,
richtete sie ihren Blick unwillkürlich auf das Haus, in dem die Frau wohnte.
In der dritten Etage brannte Licht.
Hinter dem Fenster zeigte sich flüchtig die Silhouette einer Gestalt. Die
Vorhänge wurden zugezogen ...
*
Die Frau war blass .
Anna Kaichen war vierundfünfzig, sah
aber zehn Jahre älter aus. Sie rauchte viel, so dass ihr Teint schlecht durchblutet war, sie hustete oft und hatte keine Freude mehr
am Leben.
Seit einiger Zeit trank sie auch.
Heimlich. In der Küche hinter den Schränken, im Schlafzimmer neben den Gardinen
und sogar im Bad hinter dem Duschvorhang standen diverse Schnapsflaschen. Wo
die Frau gerade war, nahm sie einen kleinen Schluck.
Dann hörte das Zittern ihrer Hände
auf, und die Welt sah ein bisschen freundlicher aus.
Auch im Augenblick lief Anna Kaichen
wieder in die Küche, öffnete den Schrank und nahm hinter dem Kaffeeservice eine
kleine Flasche hervor, in der sich noch ein beachtlicher Rest Alkohol befand.
Mit drei schnellen Schlucken leerte
sie die Flasche.
Die Frau stand mit dem Rücken gegen
den Türpfosten gelehnt und hatte
die Augen geschlossen. Sie fühlte, wie
es heiß ihre Kehle hinabrann, wie sich in ihrem Magen wohlige Wärme
verbreitete.
In der Wohnung brannte überall Licht.
Anna Kaichen mochte keine dunklen Räume. Alle Türen standen offen.
Die Frau fuhr sich mit einer fahrigen
Bewegung über das Gesicht, Ihre Hände waren ganz still, aber die Unruhe in ihr
war nicht betäubt. Sie fragte sich, ob es nicht besser gewesen wäre, die junge
Frau noch mal herzubitten und ihr zu erzählen, was sie erlebt hatte , .. Einerseits fürchtete sie sich davor, etwas zu
erzählen, was niemand etwas anging - andererseits hatte sie den Wunsch, mit
jemand zu sprechen.
Und diese Frau Ulbrandson war sehr
sympathisch. Sie hörte wirklich zu und schien am Schicksal ihres Sohnes
ernsthaft Anteil zu nehmen. Anna Kaichen hatte dafür ein feines Gespür.
Morna Ulbrandson hatte sich als
Mitarbeiterin jenes Dr. Bergmann vorgestellt, in dessen Haus Horst sich seit
geraumer Zeit aufhielt.
»Ah«, Anna Kaichen schüttelte
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