SGK342 - Das Echsengezücht greift an
zurück und griff mit beiden Händen in ihr volles, gelocktes
Haar. Sie hatte einen kirschroten, sinnlichen Mund und eine Art, sich zu
bewegen, daß die Blicke der Männer ihr folgten, wo immer sie ging.
Sie hatte den Mantel nicht zugeknöpft. Ihr
knielanges, azurfarbenes Kleid betonte die schmale Taille und brachte dadurch,
daß es so eng anlag, ihren Busen voll zur Geltung.
Die einundzwanzigjährige Gesangsschülerin
betätigte ein zweites Mal die Klingel.
Niemand kam, um zu öffnen.
Sissy Clahofer legte mechanisch die Hand auf
den Türknopf und stellte fest, daß sie nicht eingerastet war.
Die Tür stand offen ...
Zwischen den hübsch geschwungenen Brauen der
jungen Dame entstand eine nachdenkliche Falte.
Die Gesangsschülerin war verwirrt. War Frau
Sensmann doch unverhofft weggefahren und hatte in der Eile sowohl vergessen sie
telefonisch zu benachrichtigen als auch die Tür abzuschließen? Dann mußte es
etwas Ernstes und Dringendes gewesen sein. Sissy Clahofer konnte sich nicht
daran erinnern, jemals eine ähnliche Situation in den zurückliegenden Jahren
erlebt zu haben.
Sie wollte schon die Tür zuziehen, um dadurch
zu gewährleisten, daß in der Zeit von Rita Sensmanns Abwesenheit kein
Unbefugter die Wohnung betrat - doch im letzten Augenblick besann sie sich auf
etwas Besseres.
Sie wollte Gewißheit. Es konnte auch etwas
passiert sein, und Rita Sensmann lag möglicherweise krank oder bewußtlos im
Haus und wartete auf Hilfe ...
Sissy Clahofer merkte, wie die Unruhe und die
Erregung in ihr wuchsen.
Sie lief zur Garage und spähte durch den
seitlichen Türschlitz. Der Wagen stand auf seinem Platz! Durch die
Glasbausteine, die in einer Reihe unter dem flachen Dach entlangliefen, fiel
genügend Licht in die Garage, so daß man den kaffeebraunen, metallicfarbenen
Ford deutlich registrieren konnte.
Rita Sensmann mußte noch im Haus sein!
Es war etwas passiert... da stimmte etwas
nicht!
Sissy Clahofer eilte zum Hauseingang, drückte
die Tür vollends auf und ging dann zwei, drei Schritte in die gemütlich und mit künstlerischem Geschmack eingerichtete
Diele.
»Frau Sensmann?« Die Stimme der jungen
Besucherin hallte durch das große, düstere Haus. Nebelschwaden wallten hinter
ihr in den Flur. Obwohl die Tür gegenüber ebenfalls weit geöffnet war und sich
an der Zimmerwand ein Fenster befand, konnte man nur wenig sehen.
Die Welt jenseits des Fensters war dichter,
wabernder Nebel.
»Frau Sensmann ?« rief Sissy ein zweites Mal und lauter. Wieder erfolgte keine Antwort.
Berunruhigt ging die junge Dame tiefer in die
Wohnung hinein und warf zuerst einen Blick in das Schlafzimmer. Die Betten
waren gerichtet. Ob sie über Nacht benutzt wurden, konnte sie nicht sagen...
Dann erlaubte sie sich einen Blick in das
großzügige Badezimmer.
Sie sah sofort, daß jemand gebadet hatte und
der Raum danach nicht gereinigt wurde. Auf dem dunklen Plattenboden befanden
sich ein großer, matter Fleck und Reste getrockneten Schaums. Sissy fand ein
zusammengeknülltes Handtuch und ein Stück Seife.
Irritiert legte sie die Dinge an ihrem Platz.
Dann ging sie ins Wohnzimmer. Automatisch
tastete ihre Hand nach dem Lichtschalter. Sie wollte endlich Helligkeit haben,
um besser sehen zu können. Es kam ihr so vor, als wäre der Abend nahe...
Das Licht ging nicht an.
Sissy Clahofer fragte sich, ob sie wachte
oder träumte. Alles kam ihr fremd vor, so unheimlich. Angst beschlich sie und
das Gefühl, ständig beobachtet zu werden.
Was war in diesem Haus passiert?
In der grauen Atmosphäre fiel Sissy in
unmittelbarer Nähe des Erkers der große, dunkle Fleck auf.
Instinktiv bückte sie sich und strich mit
ihrer Hand über den Teppich.
Sie war oft in diesem Zimmer. Nach dem
Unterricht plauderten sie meistens noch ein wenig, blätterten in Büchern oder
Notenheften. Sissy Clahofer kannte das ganze Haus. Zu lange schon kam sie
hierher. Aber sie konnte sich nicht daran erinnern, jemals einen Fleck gesehen
zu haben.
Ihr Herz krampfte sich zusammen. Sie hatte
plötzlich einen furchtbaren Gedanken, der sie nicht mehr losließ.
Rita Sensmann war etwas zugestoßen ... der
große dunkle Fleck - sah aus wie Blut...
Der Frauenmörder von Wien! Der Gedanke setzte
sich in Sissy Clahofer wie eine fixe Idee fest und erfüllte sie mit solcher
Panik, daß sich ihre Nackenhaare sträubten.
Jede weitere Minute, die sie hier verbrachte,
steigerte die Furcht und die Irritation.
Ihre Umgebung kam ihr bedrohlich vor. In
diesem Haus
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