SGK342 - Das Echsengezücht greift an
war sicher Furchtbares geschehen.
Sie rief sich die Nachrichten in den Sinn
zurück, die sie heute morgen im Radio gehört hatte. Die Polizei war noch immer
wegen des grauenhaften Verbrechers rund um die Uhr im Einsatz. Eine Meldung
über einen neuen Mordfall gab es nicht...
»Kann es nicht geben«, hörte sie sich in
ihrer Erregung plötzlich selbst halblaut sprechen. Sie fuhr zusammen und preßte
unwillkürlich die Hand auf den Mund.
Doch die Gedanken drehten sich wie ein
Karussell, und es schien ihr, als würden sie zu wispern beginnen
...
Eine Meldung kann es nicht geben, weil man
das neue Opfer noch nicht entdeckt hat. Ich ... bin die erste, die heute morgen
in das Haus kommt... ich bin die erste, die merkt, daß etwas nicht stimmt...
Wo aber ist sie? Wo ist es passiert? Wenn es
hier vorn im Erker ...
Wie unter Zwang wandte Sissy den Kopf und
starrte auf den dunklen Fleck. Wenn es dort passiert war, hätte die Leiche noch
am Tatort liegen müssen. Es war kaum damit zu rechnen, daß der Täter das
ermordete Opfer mitnahm ...
Sissy Clahofer schluckte. Ihre Gedanken
machten sich selbständig wie Käfer, die davonliefen.
Sie hatte plötzlich das Gefühl, als würden in
der bleigrauen Dämmerung die Wände näher rücken.
Sie bekam keine Luft mehr und mußte hinaus.
Und dann die nächste Polizeidienststelle benachrichtigen. Die Beamten mochten
sich um das geheimnisvolle Geschehen kümmern.
Sissy Clahofer selbst hatte nur noch einen
Wunsch, so schnell wie möglich zu verschwinden.
Sie merkte, wie ihr schwindlig wurde. Sie war
so erregt, daß sie stehen bleiben mußte. Der Schwächeanfall war aber ebenso
schnell vorüber, wie er begonnen hatte.
Die junge Frau stützte sich gegen einen
großen, dunklen Schrank, der die Wand neben der Tür zur Diele fast ganz
einnahm.
Und wieder begann es in Sissys Kopf zu
arbeiten.
Was würde geschehen, wenn der Mörder sich
noch im Haus versteckt hielt? Hier gab es tausend Möglichkeiten, sich zu
verbergen. In der Dachkammer, im Keller, unter einem Bett oder einer Couch -
oder in diesem Schrank .. .
Sie schalt sich im stillen eine Närrin, daß
sie derart verrückte Gedanken entwickelte.
Kein Mensch versteckte sich unter einem Bett
oder in einem Schrank. Gedanken von früher, als sie noch ein kleines Mädchen
war und sich abends, wenn sie im Bett lag, vorstellte, wie gruselig es sein
würde, wenn plötzlich jemand unter ihrem Bett hervorkroch oder aus dem Schrank
stieg und .. .
Da flog die Schranktür auf!
Sissy Clahofer schrie wie von Sinnen.
Zwei, drei Sekunden war sie wie gelähmt,
unfähig auch nur einen Finger zu rühren.
Aber ihr Verstand war hellwach. Und sie bekam
jede Einzelheit in grauenvoller Klarheit mit.
Sie sah die Gestalt, die ein wenig nach vorn
gebückt auf sie zuschnellte, die Gestalt, die sich in dem großen Schrank
verborgen hatte!
Das Wesen war gedrungen und behaart ... wie
ein Urmensch, schoß es Sissy durch den Kopf.
Das waren die letzten Sekunden ihres Lebens
und die letzten Eindrücke, die sie empfing.
Dann schnellte die grobe Hand mit dem
Rasiermesser nach vorn.
Sissy Clahofer fühlte den Druck gegen ihren
Hals, und dann war auch alles schon zu Ende ...
*
Doris Gaisler schlief an diesem Morgen besonders lange.
Der Druck in ihrem Kopf hatte nachgelassen,
sie fühlte sich etwas besser als am Abend zuvor.
Automatisch griff sie nach dem
Fieberthermometer, das auf dem Nachttisch lag.
Die Frau schüttelte das Quecksilber nach
unten und klemmte den Thermometer unter den Arm. Zehn Minuten später wußte sie,
daß sie nur noch geringe Temperatur hatte.
Doris Gaisler verließ das Bett, machte sich
im Bad langsam frisch und zog sich warm an.
Vor dem Frühstück, das sie sich in Ruhe und
ohne Hetze zubereiten wollte, rauchte sie noch eine Zigarette.
Die Frau war froh darüber, daß die fiebrige
Erkältung sie offenbar doch nicht so gepackt hatte, wie sie gestern abend
befürchtete.
Sie lief langsam zum Fenster. Draußen war es
trüb und neblig. Das Wetter war unfreundlich, so richtig dazu geeignet, den Tag
im Bett zu verbringen. Es gab Leute, die davon Gebrauch machten. Aber Doris
Gaisler gehörte nicht zu ihnen.
Sie blieb nur im Bett, wenn es gar nicht
anders ging.
Sie mußte an Rita denken. Wenn ihr Zustand
sich nicht wieder verschlimmerte, konnten sie sich heute abend sehen.
Auch ihr war heute
nacht nicht ganz wohl bei dem Gedanken gewesen, allein im Haus zu sein. Solange
sie den unheimlichen Mörder nicht hatten, war jede
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