Shadow Falls Camp - Entführt in der Dämmerung: Band 3 (German Edition)
Blumenmuster. Ihre Füße steckten in einem Paar hellblauer Schlappen.
Kylie merkte nicht sofort, dass die Frau nicht von dieser Welt war.
»Du nimmst deine Medikamente nicht so ein, wie du es solltest, oder?« , fragte sie den alten Mann. »Das sehe ich doch an deinen geschwollenen Knöcheln. Du sollst die kleinen roten Tabletten zweimal am Tag nehmen, nicht die blauen. Was hast du denn vor? Willst du dich etwa umbringen? Du hast mir versprochen, auf dich aufzupassen. Warum hörst du nur nie auf mich?!«
Dann fiel der Blick der Frau auf Kylie. Ihre alten grauen Augen weiteten sich, dann verschwand sie. Nur um eine Millisekunde später direkt vor Kylies Nase wieder zu erscheinen. Ihre Haut hatte eine tote graue Farbe, die ihrer Augenfarbe glich. Ihr Haar, das nur ein klein wenig heller war, wurde vom Wind erfasst und schwebte fast bewegungslos um ihren Kopf.
»Mutter Gottes, du kannst mich sehen« , rief die alte Frau aufgeregt.
Die Nähe des Geistes ließ Kylie einen Schauer über den Rücken laufen. Aber die gesunkene Temperatur war nicht halb so erschreckend wie die plötzliche Stille.
Das Geplauder der Geister war verstummt. Das einzige Geräusch auf dem Friedhof war der schlurfende Gang des alten Mannes. Seine Schuhe kratzten über den Kies, während er mit dem Gehstock auf dem unebenen Boden nach Halt suchte.
Tapp, tapp. Schlurf. Tapp, tapp. Schlurf. Tapp. Schlurf.
Kylie spürte, wie Burnett und Della zurückwichen. Sie hatte sie zwar um Abstand gebeten, aber das bereute sie bereits. Vielleicht wollte sie ja gar nicht allein sein. Aber bereute sie es genug, um ihre Angst zuzugeben? Sie wusste, dass jemand wie Burnett Mut schätzte, und Kylie wollte ihn nicht enttäuschen.
»Antworte mir, Mädchen! Du kannst mich doch sehen, oder?« Die alte Frau wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht herum.
Kylie hielt den Atem an. Die Stille war beinahe unerträglich. Dass die Stimmen verstummt waren, hatte bestimmt etwas zu bedeuten. Die Geister hörten zu. Und warteten auf eine Antwort. Warteten darauf, dass sie zugab, eine der Ihren sehen zu können.
Plötzlich wurde die Luft, die sie einatmete, so eisig, dass es in ihren Lungen schmerzte. Die verstummten Geister kamen näher. Sie konnte sie nicht sehen und nicht hören, aber sie konnte sie spüren. Die Kälte verstärkte sich stetig.
Panik machte sich in ihr breit. Sie fühlte, dass sich auf ihren Lippen eine dünne Eisschicht gebildet hatte. Einen Moment lang fragte sie sich, ob es so klug gewesen war, herzukommen. Konnte sie so tun, als würde sie die alte Frau nicht hören? War es zu spät, wegzuschauen?
»Sag ihm, dass er zwei von den kleinen roten Tabletten nehmen muss.«
Kylie blieb stumm. Weißer Frost bildete sich an ihren Wimpern, so dass sie nur noch verschwommen sehen konnte.
»Unser erstes Urenkelkind wird bald auf die Welt kommen. Seit Jahren redet er davon, dass er so lange leben will, bis er die dritte Generation gesehen hat. Aber wenn er nicht anfängt, seine Pillen richtig zu nehmen, wird er das nicht mehr schaffen.«
Plötzlich tauchten die anderen Geister um sie herum auf. Zehn, dann zwanzig. Dann immer mehr. Sie kamen langsam näher, und Kylie schnürte sich vor Angst die Kehle zu. Sie dachte daran, wegzurennen. Aber ob das funktionieren würde?
»Kann sie uns hören?« , fragte ein älter klingender Geist.
»Kann sie uns sehen?«, fügte eine jüngere weibliche Stimme hinzu.
»Ihr spinnt doch alle« , schaltete sich eine männliche Stimme ein. »Die Lebenden können uns nicht sehen.«
»Aber die da schon« , widersprach eine weibliche Stimme. »Sieh sie dir doch an.«
Die Geister rückten noch näher.
»Meint ihr, sie kann uns helfen?« , fragte eine Frau.
»Vielleicht« , antwortete jemand.
Der ältere männliche Geist starrte Kylie an. »Was ist sie?«
Die Geister belagerten Kylie. Ein Schwall von Fragen ergoss sich aus ihren Mündern, einige sprachen so schnell, dass Kylie die Stimmen kaum unterscheiden konnte. Der Geräuschpegel war so hoch, dass Kylie sich am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Sie konnte sich nicht erinnern, was Holiday gesagt hatte, wie sie die Geisterstimmen ausschalten konnte. War es zu spät, sie auszuschalten?
»Suchst du ein bestimmtes Grab?« Die Worte sickerten durch das Stimmengewirr und hallten in Kylies Kopf wider. Sie brauchte eine Minute, um zu merken, dass diese Männerstimme anders war. Die Worte stammten nicht von einem Toten, sondern von einem Lebenden.
Kylie schaffte es, den Kopf zu
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