Shadow Falls Camp - Erwählt in tiefster Nacht: Band 5 (German Edition)
Horizont in den verschiedensten Rosatönen. Kylie bemerkte, dass die Vögel jetzt über ihnen kreisten. Konnten sie auch die Toten sehen?
Kylie wandte sich wieder der Frau zu, in deren Augen so viel Trauer lag. »Er ist im Himmel.«
Die Frau schaute erstaunt auf.
»Das glaub ich nicht. Ich bin mir sicher, sein Großvater hat ihn ganz nach seinem bösen Vorbild erzogen. Er war doch noch so jung und so beeinflussbar. Und dann hat ihn auch noch sein eigener Großvater getötet.«
Kylie empfand tiefes Mitleid für die Frau. »Du warst ihm ein gutes Beispiel. Er ist auch gestorben, weil er jemanden retten wollte, genau wie du. Du hast es ihm beigebracht. Und das hat seine Seele gerettet.«
Tränen traten der Frau in die Augen.
»Bist du sicher? Woher weißt du das?«
Kylie zögerte, aus Angst, Lucinda könnte sie für den Tod ihres Sohnes verantwortlich machen. »Er ist gestorben, als er mir das Leben gerettet hat.«
Einen Moment schien der Geist wie in Gedanken versunken.
»Deshalb haben sie mich also hierhergeschickt?«
»Wer hat dich hergeschickt?«, fragte Kylie, obwohl sie sehr wohl eine Ahnung hatte, wen die Frau meinte.
»Die Todesengel«.
»Ist das die Stimme, die ich ab und zu höre?«
»Ja, das sind sie.«
»Aber wieso kann ich sie mehr hören als … Holiday und die anderen Geisterseher?«
»Protectoren bewachen sie mehr als andere. Das müssen sie auch, denn du kannst nur andere beschützen, nicht dich selbst.«
»Wollen sie, dass ich Mario töte, oder ist das nur dein Wunsch?« Kylie hoffte, dass ihre Annahme falsch war.
»Zuerst hab ich gedacht, dass nur ich mir das wünsche, aber dann hab ich gemerkt, dass es auch ihr Plan ist.«
Kylie schnappte nach Luft.
»Er muss aufgehalten werden. Du bist dafür auserwählt. Niemand sonst konnte ihn bisher aufhalten.«
»Aber wenn ich mich nicht beschützen kann … wen werde ich denn dann beschützen, wenn ich gegen ihn kämpfe?«
»Ich kann nicht in die Zukunft sehen.«
»Aber was, wenn ich es nicht schaffe? Ich bin doch gar nicht so gut mit dem Schwert.«
»Dann wirst du bei dem Versuch, ihn aufzuhalten, sterben. Manchmal können wir nicht mehr tun.«
Kylie wusste, dass die Frau auf ihr eigenes Schicksal anspielte. Sie war auch gestorben, weil sie ihren Sohn beschützen wollte. Doch so groß ihr Mitgefühl für die Frau auch war, so sehr fürchtete sich Kylie auch vor ihrem eigenen Schicksal.
»Ich will aber noch nicht sterben.«
»Dann musst du wohl weiter trainieren. Deshalb bin ich ja auch hier. Um mitzuhelfen, dich mit dem Schwert fit zu machen. Denn wenn du versagst, werden schlimme Dinge passieren. Auch den Leuten, die dir am Herzen liegen. Die darauf vertrauen, dass du sie beschützt.«
Kylie spürte, wie ihr Blut zu kribbeln begann, beim Gedanken daran, dass sie ihre Freunde beschützen musste. »Dann muss ich eben gewinnen«, meinte Kylie grimmig. Denn verdammt nochmal, sie würde nicht zulassen, dass Mario noch mehr Schaden anrichtete.
»Was gewinnen?«
Kylie sah sich um, als sie Lucas’ Stimme hinter sich hörte. Er trug kein Shirt, was Kylie kurzzeitig den Atem verschlug. Seine Haare waren nass, und auch auf seiner Brust schimmerten noch ein paar Wassertropfen. Er musste vor kurzem erst aus dem Wasser gekommen sein. Dann hatte er wohl seine Jeans einfach über seine nasse Badehose gezogen.
Ihr Blick wanderte über seinen Bauch, wo sie ihn vor kurzem noch mit den Händen geheilt hatte.
»Alles klar bei dir?« Er riss sie aus ihren süßen Erinnerungen.
Sie nickte, obwohl es gelogen war. Sie hatte furchtbare Angst, zu sterben – und fast noch mehr Angst davor, dass andere leiden mussten, weil sie es vermasselt hatte. Und in diesem Augenblick, als sie ihn so dastehen sah, wurde ihr mit einem Schlag bewusst, wie sehr sie leben wollte.
»Du hast Besuch?«, fragte er.
Sie sah sich um. »Nein, sie ist weg.«
Sein Handy klingelte, und Lucas zog es schnell aus der Hosentasche, als hätte er auf einen Anruf gewartet. Seine Miene verfinsterte sich, und er drückte den Anrufer weg.
»Ist was?«, fragte Kylie.
»Nein, es ist nur Will.«
»Er ruft dich noch an?«
Lucas nickte. »Er hält nicht so viel von den alten Regeln.«
»Dann ist er ein guter Freund«, stellte Kylie fest.
»Ja.« Lucas steckte sein Handy zurück in die Tasche. »Ich hatte gehofft, es wäre meine Großmutter.«
Kylie sah ihn fragend an. »Wegen des Treffens mit dem Ältesten?«
»Deswegen, und außerdem hat sie mir heute Morgen gesagt, dass es ihr nicht
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