Shadow Falls Camp - Geboren um Mitternacht: Band 1 (German Edition)
bist du noch du selbst?«
»Ob ich noch ich selbst bin?«, fragte er, als hätte er die Frage nicht verstanden.
»Denkst du wie ein Mensch oder wie ein Wolf?«
»Ich bin kein Mensch, Kylie«, antwortete er. »Ich bin ein Werwolf.«
Sie fühlte, wie sie errötete. »Ich meinte ja nur –«
»Ich weiß«, stieß er hervor. »Wenn ich mich verwandele, habe ich geschärfte Sinne, und ich habe stärkere Instinkte. Zu jagen. Mich zu paaren. Zu beschützen, was mir gehört. Diese Instinkte sind auch sehr menschlich. Aber wenn man ein Werwolf ist, kann man sie nur schwer unterdrücken.«
Also hatte er ihren Kater wohl eher aus Jagdinstinkt und weniger aus Gemeinheit getötet. Bis zu diesem Moment war ihr gar nicht aufgefallen, dass sie die ganze Zeit nach einem Weg gesucht hatte, ihm zu vergeben.
Eine Weile schwiegen beide.
»Und wenn du nicht verwandelt bist, was ist dann deine Gabe?«, fragte sie.
»Besseres Hören, Riechen, Kraft und Beweglichkeit.«
»Also ist es genauso wie bei Vampiren?« Sie erinnerte sich daran, wie Della betont hatte, dass Vampire die mächtigste aller Arten waren. Nicht, dass sie ihr das wirklich geglaubt hatte. Della war da nicht neutral. Dabei fiel Kylie plötzlich wieder eine von Dellas Fähigkeiten ein. »Kannst du meinen Herzschlag hören?« Konnte er auch sehen, wenn sie log?
»Kommt darauf an. Unsere Stärke und unsere Sinne werden besser, je näher der Vollmond rückt. Aber meistens ist unser Hören darauf eingestellt, auf Eindringlinge zu lauschen, und nicht auf solche Dinge wie Herzklopfen.«
Ihr fiel ein, wie er in der Nacht des Lagerfeuers von einem Baum gesprungen war. Es erschien ihr seltsam, dass er das konnte, wo doch ein Wolf das nicht konnte.
»Hier ist schon der Zaun.« Er schob den losen Teil des Maschendrahtzauns beiseite und bedeutete ihr, durch die Öffnung zwischen ihm und dem Zaun zu schlüpfen. »Pass auf, dass du dich nicht verletzt.«
Die Öffnung war eng. Kylie schob sich an ihm vorbei, und ihre Brüste streiften seinen Oberkörper. Ein warmes Kribbeln schoss so plötzlich durch sie, dass sie zurückzuckte.
Doch noch bevor sie sich bewegen konnte, hatte er ihre Spannung gespürt und zog sie zu sich heran. »Vorsicht.« Er senkte den Kopf und schaute ihr in die Augen. Sie waren sich so nah, dass sich ihre Nasen berührten.
Sie nickte und schlüpfte hindurch. Der Zaun hätte genauso gut elektrisch geladen sein können, so wie es in ihrem Körper kribbelte.
Sobald sie sicher drüben war, ging er hindurch und ließ den Zaun los. Ihre Blicke trafen sich wieder. Irgendwie wusste sie, dass er an dasselbe dachte wie sie – wie nah sie sich gewesen waren. Sie konnte immer noch das Blut in ihren Wangen pulsieren fühlen.
»Da lang.« Er machte eine Bewegung, um ihr den Weg zu zeigen, aber sie sah, dass er sie beobachtete – zweifellos war sie rot geworden. Nur ein paar Minuten später waren sie am Flussbett. Er betrachtete das Wasser. »Der Wasserstand ist ziemlich hoch heute«, stellte er fest. »Normalerweise ist es nur ein Rinnsal. Die Spuren sind gleich dort drüben, am anderen Ufer. Es ist weniger als einen halben Meter tief, aber du solltest vielleicht doch deine Schuhe ausziehen, wenn du willst, dass sie trocken bleiben.«
Kylie setzte sich hin und zog ihre Sneakers und ihre Socken aus und krempelte ihre Jeans auf. Er stand neben ihr und sah zu. Sie schaute hoch. »Du ziehst deine nicht aus?«
»Nasse Schuhe machen mir nichts aus.«
Sie steckte die Socken in die Schuhe und stellte alles in sicherem Abstand zum Wasser ab. Sie hörte Wasser rauschen. Sie schaute zum Fluss und fragte: »Ist der Wasserfall in der Nähe?«
»Es sind knapp zwei Kilometer von hier, allerdings auf dem Campgelände.«
»Warst du schon mal dort?«, fragte sie.
»Ein Mal«, antwortete er.
»War es so gruselig, wie alle sagen?«
»Ein bisschen schon«, gab er zu. »Aber ich habe keine Schatten gesehen.« Er grinste. Lag das daran, dass er keine Geister sehen konnte?
»Bist du bereit?«, fragte er, als sie nachdenklich sitzen blieb.
»Na klar.« Sie stand auf und steckte den großen Zeh ins Wasser. »Brr. Kalt.« Sie lächelte.
»Ja, aber nachmittags, wenn die Sonne so richtig brennt, ist es sehr angenehm. Noch etwa einen Kilometer weiter oben gibt es eine Stelle, wo es tief genug ist zum Schwimmen. Ich versuche, mindestens einmal pro Woche dorthin zu gehen.«
Sie stellte sich ihn im Wasser vor und erinnerte sich an ihren Traum.
Er machte einen Schritt ins Wasser,
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