Shadow Guard: Die dunkelste Nacht (German Edition)
wieder herauskam, ging sie über den Rasen auf ihn zu. Ihr Haar hatte sich gelöst, und ihre Röcke hatten Feuer gefangen. Trotz der Anspannung des Moments umspielte ein Lächeln Rourkes Lippen, denn er hatte noch niemals etwas so Schönes gesehen wie Selene mit in Flammen stehenden Röcken. Mit einem verärgerten Blick nach unten hielt sie inne, riss die brennende Schicht ab und warf sie auf den Boden.
Benommene Dorfbewohner wanderten über den Rasen, und einige schluchzten beim Anblick des brennenden Hauses. Die Gesichter anderer waren bemalt wie Clowns. Mr Harbottle rannte wie ein Verrückter im Kreis, immer noch nackt.
Sterbliche hatten nicht so eine kräftige Konstitution wie er und Selene. Es würde einige Zeit dauern, bis sich die Wirkung des rötlichen Rauchs legte.
»Morgen früh wird es einige sehr verlegene Dorfbewohner geben«, bemerkte Selene mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Zumindest leben sie«, erwiderte Rourke.
Sie schnappte sich die nächstbeste Person, die sich als eine der Damen entpuppte, die ihr Eier verkauft hatten. »Könnten Sie mir bitte sagen, in welche Richtung die Zirkusleute gegangen sind?«
Die Frau nickte mürrisch und zeigte zum Fluss. Seufzend flüsterte sie: »Sie haben uns einfach zurückgelassen.«
Rourke und Selene verwandelten sich wieder in Schatten. Sie strebten über das Feld und den gewellten Hügel hinunter zu der Stelle, wo eine Weidefläche auf den Fluss traf. Bunt bemalte Wagen und Karren säumten die Ufer. Einige Pferde liefen umher und wirkten genauso verwirrt wie die Dorfbewohner.
»Sie sind alle verschwunden«, murmelte Selene. »Aber wie?«
Seite an Seite gingen sie zum Fluss. Das Wasser floss schnell, strudelte und krachte gegen scharfkantige Felsen. Spitze Schuhe, Ziermünzen, Haremshosen und ein sehr hoher Zylinderhut übersäten das steinerne Flussufer.
»Jack the Ripper … die Dunkle Braut … sie alle haben nahe der Themse gewohnt.« Rourke hockte sich neben das Wasser. »Ich glaube, sie sind in den Fluss gegangen.«
18
»Für dich, Callianassa«, flüsterte Selene. Sie zog den Perlenring vom Finger und warf ihn in den runden, blubbernden Teich. Schuppen blitzten auf, und eine bleiche Hand schnappte sich das Juwel. Dunkles Haar kräuselte sich im Wasser, dann war die Nereide wieder in der Tiefe verschwunden.
»Hast du dir etwas gewünscht?«
Sie drehte sich zu ihrem Zwillingsbruder Mark um, der den Rasen überquerte und auf sie zukam. »Ja.«
Mit seinen blonden Haaren war er wie in vieler Hinsicht das Gegenteil von ihr. Als er nähergekommen war, flüsterte er: »Ging es um Avenage?«
Sie zuckte die Achseln.
Zwei Wochen waren seit ihrer Rückkehr nach London aus Swarthwick verstrichen, und sie hatte Rourke seither nicht gesehen. Sie hatte sich sofort wieder den Vollstreckern angeschlossen und er den Raben.
Außerdem hatte sie zwanghaft und insgeheim fast so viele Buchseiten gegessen, wie eine Bibliothek füllen würden, und ihr Bestes getan, die leeren Einbände vor jedem zu verbergen, der es vielleicht bemerken könnte.
»Bald wirst du keinen Schmuck mehr haben … ähm, oder Bücher. Ich habe eine beachtliche Menge an leeren Einbänden im Mülleimer gefunden.«
Selene rümpfte die Nase. »Beschuldige nicht immer gleich mich. Offensichtlich hast du einen Büchervandalen in deinem Personal.«
»Mmmh-mmh.«
Er deutete mit dem Kopf auf das Herrenhaus hinter sich. »Dieser Rabe, Tres, war gerade wieder da, um dich zu sprechen. Er hat seine Karte dagelassen. Hat versucht, charmant zu sein. Ich habe ihm gesagt, du seist nicht da. Er war sehr beharrlich.«
Selene lächelte. »Was sehr schmeichelhaft ist, aber nein.«
Mark hatte nach seiner Rückkehr aus Ägypten schnell Pandoras Tagebuch überflogen und geschlussfolgert, dass Mr Silverwest aller Wahrscheinlichkeit nach Tantalos war. Diese Möglichkeit hatte alle entsetzt. Während die Vollstrecker London nach irgendwelchen Beweisen für seine Ankunft dort abgesucht hatten, hatte er seinen ersten Auftritt im Äußeren Reich in Langweilmoor gehabt, höchstwahrscheinlich in der Hoffnung, dass die Transzendierung immer noch in Selenes Geist schlummerte und er sie für sich rekrutieren konnte.
Selene hatte argumentiert, dass mehr hinter seiner Wahl stecken müsse. Schließlich hatte sich Pandora nach Swarthwick erkundigt, bevor Selene dort unter Rourkes Schutz hingeschickt worden war.
Während die Vollstrecker versuchten vorauszusehen, wo Tantalos als Nächstes erscheinen würde, verstärkten
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