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Shadow Guard: Die dunkelste Nacht (German Edition)

Shadow Guard: Die dunkelste Nacht (German Edition)

Titel: Shadow Guard: Die dunkelste Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Lenox
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    Endlich, gerade als sie zu dösen begonnen hatte, schlingerte der Zug schwach. Schläfrig richtete sich Selene auf und spähte durch die Glasscheibe. Elena winkte mit einer behandschuhten Hand. Selene tat das Gleiche. Binnen Sekunden war das Einzige, was sie draußen vor ihrem Fenster sah, verschwommene Kleckse von grauem Himmel, dunklen Gebäuden und Reklametafeln.
    Ein bizarres Bild blitzte in ihrem Geist auf: ein leerer Zug, in dem sie der einzige Passagier war, und wie er beschleunigte – sagenhaft –, bis sich die Lokomotive in die Luft erhob und direkt über die Klippen von Dover in das Meer darunter stürzte.
    Bevor sie zur Tatverdächtigen mehrerer Mordfälle geworden war, hätte die dunkle Fantasie ihr ein Kichern entlockt. Schließlich hätte die »alte« Selene, wenn etwas Derartiges geschehen wäre, lediglich das Fenster zertreten und wäre an die Oberfläche geschwommen, mitsamt Wollröcken und zwei Unterröcken und allem. Aber würde sie ein solches Unglück in der Gegenwart und angesichts der lähmenden Wirkungen des Impfstoffs auf ihre Kräfte überhaupt überleben?
    »Ich dachte, Sie würden vielleicht gern mehr über unseren Bestimmungsort wissen.«
    Solchermaßen aus dem Schlaf gerissen, öffnete sie die Augen gerade rechtzeitig, um zu beobachten, wie sich Rourke in dem Abteil materialisierte. Ohne zu lächeln, stand er an der gegenüberliegenden Wand.
    »Ich muss mich entschuldigen.« Er hielt ihren Blick fest, während er seinen Zylinder vom Kopf nahm. »Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
    Sie wurde nicht gern überrascht. Von niemandem, aber ganz besonders nicht von ihm.
    »Sie hätten klopfen können«, antwortete Selene, gereizter, als es ihre Absicht war.
    Seine Nasenflügel bebten, und das Grün seiner Augen schien sich in seiner frostigen Stimmung zu intensivieren. Er neigte den Kopf in Richtung Tür. »Wir befinden uns in einem öffentlichen Zug, und Sie sind eine unverheiratete Frau. Es wäre beunruhigend für die anderen Passagiere unserer Klasse gewesen, drei verschiedene Männer in ihr Abteil treten zu sehen.«
    Sein kühles Benehmen und die schroffe Art zu sprechen erinnerten sie daran, dass sie nicht länger seinesgleichen war, sondern seine Gefangene. Der feine Wollstoff seines Mantels konnte weder die Breite seiner Schultern noch seine muskulösen Oberarme verbergen. Sein Mantel klaffte auf, um die gestärkte Brust eines weißen Leinenhemds zu entblößen, und dazu eine schmale, schwarze Halsbinde. Maßgeschneiderte Hosen betonten seinen athletischen Körperbau und seine Größe. Die perfekte Kombination aus Männlichkeit und zivilisierter Politur.
    Dass sie einen Mann, der eine so geringe Meinung von ihr hatte, so bewundern konnte, verärgerte sie über alle Maßen.
    »Also werde ich weiterhin ohne Vorwarnung gestört werden?«, wandte sie ein – nur um des Streits willen. »Was wäre gewesen, wenn ich meine Kleider ausgezogen hätte und zu Bett gegangen wäre?«
    Das Licht ihrer kleinen Lampe offenbarte die leichte Einkerbung seines Kinns. »Wir sind kaum aus dem Bahnhof gefahren. Und doch, was wäre, wenn Sie sich entkleidet hätten?«, fragte er. »Sie sind eine Vollstreckerin der Schattenwächter. Sie spielen nicht die Ich-bin-eine-zarte-Frau-Karte bei mir aus, nur weil es bequem ist.«
    Bei dieser Anschuldigung, die natürlich vollkommen gerechtfertigt war, versteifte sie sich. Sie
hatte
versucht, die Frauenkarte auszuspielen.
    Im Allgemeinen funktionierte diese Strategie.
    »Machen Sie es sich bequem«, riet er ihr. »Legen Sie Ihre Kleider ab, wenn es Ihnen gefällt. Wir werden nach Norden reisen, nach York, wo wir aussteigen werden und den Rest des Wegs nach Swarthwick mit einer Kutsche zurücklegen.«
    Als er sie intensiv musterte, wandte sich Selene ab, und starrte stattdessen mürrisch auf ihren Koffer. Sie hasste es, solchermaßen angesprochen zu werden. Als sei sie nichts weiter als eine unangenehme, unbequeme und unerwünschte Komplikation. Ihre Augen brannten. Tränen, dumme Tränen.
    »Fühlen Sie sich unwohl?«, erkundigte er sich schroff.
    Sie rieb sich die Augen und senkte das Kinn, um die Krempe ihres Huts so zu neigen, dass sie ihm die Sicht auf ihr Gesicht versperrte. »Es ist nur so, dass irgendetwas im Abteil mir zusetzt. Parfum oder Rauch von einem früheren Passagier vielleicht.«
    »Ich werde Sie sich selbst überlassen.«
    »Bitte, tun Sie das«, sagte sie energisch.
    Er verließ das Abteil auf die gleiche Weise, wie er hineingekommen

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