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Shadow Guard: Die dunkelste Nacht (German Edition)

Shadow Guard: Die dunkelste Nacht (German Edition)

Titel: Shadow Guard: Die dunkelste Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Lenox
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geschlossen.
    Sie eilte durch ihr Zimmer zum Fenster. Rourke stolzierte über den Innenhof, seinen Mantel über dem Arm. Die langen dunklen Rockschöße flatterten im Wind hinter ihm her. Zielstrebig nahm er einen felsigen Pfad, einen, der in Richtung der Klippe führte, die sie aus seinem Zimmer gesehen hatte. Etwas an der geraden Linie seiner Schultern und der Haltung seiner Arme ließ ihn aussehen, als stünde ihm eine unangenehme, aber notwendige Aufgabe bevor. Swarthwick war wunderschön, doch sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass sich hier einst eine schreckliche Tragödie abgespielt hatte. Schon bald war er aus ihrem Sichtfeld verschwunden.
    Sie kroch voll bekleidet aufs Bett und warf sich auf die Decke. Als er sie eben im Flur berührt hatte, hatte sich ihr Herz in einer solch beunruhigenden Mischung aus Freude … und Schmerz zusammengezogen.
    Liebe tat weh, was der Grund war, warum sie sie nicht besonders mochte. Nicht dass sie Rourke liebte. Natürlich liebte sie ihn nicht.
    Früh in ihrer Kindheit hatte sie gelernt, ihre Gefühle auszuhungern, abzutrennen und auszubrennen, bis ihr Herz kein Gefühl tiefen Glücks oder Schmerzes mehr empfand. Geboren an einem königlichen Hof, an dem Verrat und Mord alltäglicher waren als Zuneigung oder Liebe, hatte sie durch Misstrauen überlebt.
    Die Intensität ihrer Gefühle oder ihres Verlangens nach Rourke machte ihr Angst. Schreckliche Angst.
    Aber auf die seltsamste und wunderbarste Art.
    Rourkes Stiefel knirschten auf einer Mischung aus Schlamm, feuchter Erde und Stein. Er folgte dem gewundenen Pfad, der nach jahrzehntelanger Vernachlässigung beinahe überwuchert war.
    Er hatte Selene geküsst. Und das ausgerechnet hier.
    Er betete, dass seine Instinkte ihn nicht trogen. Dass sie nicht doch eine bösartige Mörderin war, die sich mithilfe ihrer Verführungskünste den Weg zur Freiheit erkämpfte. Er hatte nicht erwartet, bis tief in seine Seele Erleichterung über die Beweise ihrer Unschuld zu verspüren, was den Tod der Prostituierten und Flynns betraf. Er konnte nicht umhin, sich zu sagen, dass sie schon bald von allen Anklagen gegen sie freigesprochen sein würde. Es hatte ihn alle Kraft gekostet, seine Befriedigung vor Shrew und Tres zu verbergen. Anschließend hatte er sich erlaubt, Wunschdenken mit Realität zu verwechseln. Die fiebrige Ekstase, die daher rührte, dass er sie berührt hatte – dass er sich das Verbotene gegönnt hatte – brachte sein Blut noch immer in Wallung und vermischte sich mit süßen Visionen aus seinen Träumen.
    Gewiss sollte die Gräfin seinen Lebensweg kreuzen, damit ihm doch noch ewige Verdammnis zukam, eine Strafe, die er jahrhundertelang aufgeschoben hatte, indem er sich von seinem sterblichen Blut losgesagt hatte und Englands Rabenmeister geworden war. Er war noch nicht bereit, in die Hölle zu gehen. Er war noch nicht damit fertig, sich selbst zu bestrafen.
    Er erreichte die uralten Stufen, die in die Steinmauer eingelassen waren. Die salzige Luft füllte seine Lungen, und Erinnerungen drängten sich in seinen Geist. Die Stufen sackten ein wenig unter seinem Gewicht ein, aber er kletterte höher und höher hinauf, bis er endlich auf dem flachen Plateau mit Blick auf den Ozean stand, während der Wind an seinen Kleidern zerrte.
    Wellen krachten auf den Strand, weiße Gischt flog. Möwen schwebten am Himmel. Grauen und fast tausend Jahre Bedauern bedrückten ihn. Tief atmend stemmte er die Hände in die Hüften und drehte sich um, um über das Tal zu schauen. Swarthwicks Turm erhob sich über dem Land, stolz und grimmig. Selene war dort, tausend Meilen entfernt, wie es schien, und wahrscheinlich verfluchte sie den Tag, an dem er zu ihrem Hüter bestimmt worden war.
    Er drehte der Festung den Rücken zu und strich sich über das schweißnasse Gesicht. Ebenso, wie er so lange Swarthwick ferngeblieben war, mied er diesen fernen Vorsprung, der einen weiten Blick auf den Ozean bot. Ungeachtet dessen kam ihm immer wieder die Erinnerung an die scharfkantigen Steine dort unten, bei Ebbe von abfließendem Wasser durchzogen und einst – vor langer Zeit, an einem kalten Wintertag – von blutdurchtränktem, hellblondem Haar.
    Ein Gedenkstein stand in der Mitte des Plateaus, ein Monument seiner Sünde. Er hatte den Steinquader hierhergebracht, hatte sich damit abgemüht, sein Gewicht die endlose Kletterpartie hoher, schmaler Stufen hinaufzuwuchten. Die Zeit und das Wetter hatten die Ränder der Buchstaben abgerundet, die er

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