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Shadow Guard: Wenn die Nacht beginnt (German Edition)

Shadow Guard: Wenn die Nacht beginnt (German Edition)

Titel: Shadow Guard: Wenn die Nacht beginnt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Lenox
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Federstrich auf Schwung und Breite, Anspannung und Kontrolle. Er roch an dem Papier und der Tinte und schmeckte ihre seltsame Bitterkeit in der Luft. Schon bald lagen zwei Stapel vor ihm: echt und falsch. Mit scharfem Auge sah er Bilder durch, jene von Polly Nichols und Dark Annie, zweier Frauen, die die genüssliche Brutalität, mit der sich der Whitechapel-Mörder ihnen gewidmet hatte, nicht verdient hatten.
    Archer hatte genug gesehen. Bei seinem Rückzug streifte er – ein Windhauch – Inspektor Abberline, der gerade in den Raum trat. Er duckte sich, schwebte über den gefliesten Boden und entwischte hinaus auf die Straße.
    Dort holte er tief Atem und sog in langen Zügen die Dunkelheit ein. Er beschwor die Verwandlung in das beängstigende Raubtier in sich herauf, das er in all ihrer erneuerten Unschuld Ms Whitney nie wieder zu sehen erlauben würde.

4
    »Ms Whitney, ich hoffe, Sie haben Ihren Abend außer Haus genossen?« Mary Alice tauchte am anderen Ende des Flurs auf, ihr lächelndes Gesicht bot einen verblüffenden Kontrast zu ihrer schwarzen Hausmädchentracht, die sich kaum von der Dunkelheit abhob. Sie trug eine Kohlentülle aus Messing.
    »Ja, vielen Dank, Mary Alice«, erwiderte Elena.
    Sie hatte einen absolut skandalösen Abend verbracht, wenn sie Mrs Hazelgreaves Verhalten während ihrer Kutschfahrt nach Hause richtig deutete. Trotz Elenas Versuchen, ein Gespräch in Gang zu bringen, hatte es nur Schweigen und finstere Blicke gegeben. Sobald die Diener die alte Frau die Treppe hinaufgetragen hatten, hatte sie sich dramatisch in ihren Sessel geworfen und verlangt, dass man eilends etwas Stärkendes zu trinken in ihr Zimmer bringen solle.
    Vielleicht würde es jetzt, da Lord Black zurückgekehrt war, Gespräche über ihre Zukunft geben. Sie hoffte, auf die Förmlichkeit einer Gesellschafterin verzichten zu können, da sie nicht den Wunsch verspürte, bei Gesellschaft zu reüssieren oder das Interesse eines wohlhabenden oder adligen Verehrers zu erregen. Monatelang war sie mit Mrs Hazelgreaves um das Thema herumgeschlichen und hatte ihren Mangel an Erinnerungen als Grund vorgeschützt, um die nachmittäglichen Besuche und ungezählten gesellschaftlichen Ereignisse zu meiden, zu denen sie eingeladen worden waren. Aber in Wahrheit wollte sie sich, sobald ihre medizinische Ausbildung begann, gänzlich ihren Studien widmen. Sie und Lord Black waren … doch gut miteinander ausgekommen. Ihre Wangen röteten sich. Er schien der Typ Mann zu sein, dem sie ihre Ambitionen anvertrauen konnte, und sie freute sich auf die Erleichterung, die eine Klärung bringen würde.
    Mary Alice drehte sich um, als wollte sie Elena in ihr Zimmer begleiten. »Ich habe in Ihrem Kamin gerade noch Kohlen nachgelegt, daher wird Ihr Zimmer gleich schön warm sein. Jetzt wollen wir Ihr Haar lösen, und ich helfe Ihnen beim Auskleiden.«
    »Vielen Dank, Mary Alice, aber es ist schon spät. Ich komme allein zurecht. Bitte, gehen Sie doch zu Bett.« In Wahrheit konnte Elena es gar nicht erwarten, allein zu sein, um die berauschenden Ereignisse des Abends in Ruhe auszukosten. Selbst jetzt schien ihr die intensive Anziehungskraft, die sie zwischen Lord Black und sich selbst gespürt hatte, wie ein verführerischer Traum.
    Das braunäugige Dienstmädchen zögerte und umklammerte mit beiden Händen den Griff des Kohleneimers.
    »Was gibt es denn, Mary Alice?«
    »Da war noch etwas, das ich Ihnen sagen wollte … aber irgendwie kann ich mich nicht recht daran erinnern, was es war.«
    »Gewiss werden Sie sich wieder erinnern, wenn es etwas Wichtiges war, und dann können Sie es mir morgen erzählen.«
    Nachdem sie einen weiteren Moment nachgegrübelt hatte, zuckte die Dienerin gutmütig die Achseln. »Sie haben natürlich recht. Gute Nacht, Ms Whitney. Sie brauchen nur zu läuten, wenn Sie meine Dienste benötigen.«
    »Schlafen Sie gut.«
    Elena trat allein in die Dunkelheit. Die Wandleuchter waren heruntergedreht worden und spendeten nur denkbar schwaches Licht. Vor dieser Nacht hatte sie den Flur immer als Unheil verkündend empfunden, wie den Tunnel einer vergessenen Katakombe – und ganz wie den Rest des gewaltigen Gebäudes. Durch Lord Blacks Ankunft schien jede mit üppigen Teppichen belegte Treppe, jeder Flur, von seiner mächtigen Gegenwart durchtränkt zu sein. Sie konnte kaum den Morgen erwarten, wenn sie sich wiedersehen und all ihre Fragen eine Antwort finden würden. Gleichzeitig war sie viel zu aufgeregt, um in dieser

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