Shadow Guard: Wenn die Nacht beginnt (German Edition)
konnte Archer nur für seine Entschlossenheit bewundern; sein kühler Kopf sorgte dafür, dass sich die Lage zwischen ihnen nicht zuspitzte.
Als sie die Rosen sah, hielt sie inne. Sie hatte vollkommen vergessen zu fragen, ob er sie geschickt hatte.
»Auf Ihrem Schreibtisch ist Korrespondenz für Sie, Ms Whitney, und eine Anzahl von Karten von Besuchern, die vorbeigekommen sind, während Sie außer Haus waren.«
Elena warf ihren Mantel aufs Bett und ging nachschauen. Ihr Puls tat einen Satz, als sie einen offiziell aussehenden Brief auf den Besuchskarten erspähte, dessen gedruckte Absenderadresse die London School of Medizine for Women war. Sie drückte den Umschlag an sich und lächelte.
Ihre Aufnahme. Das perfekte Ende eines absolut perfekten Tags.
Schon bald würde Archer fort sein. Ohne die medizinische Fakultät als Perspektive für die Zukunft würde ihr nichts bleiben.
Sie schob den Finger unter die Lasche und faltete den Brief auseinander. Das Pergament trug den offiziellen Briefkopf der Fakultät. Sie überflog die Worte.
Sie blinzelte, ungläubig.
Sie las noch einmal jedes Wort, um sicher zu sein, dass sie es nicht missverstanden hatte.
Sie hatte es nicht missverstanden. Der Brief, den sie in Händen hielt, war keine Aufnahmebestätigung, sondern eine Ablehnung.
14
Tränen brannten in ihren Augen. Verwirrt und tränenblind suchte sie Archers Trost und verließ ihr Zimmer, den Brief fest umklammert in der Hand, als sie seine Räume erreichte. Sie klopfte. Als er nicht reagierte, eilte sie die Haupttreppe hinunter und weiter in sein Arbeitszimmer.
»Lord Black.«
Er saß an seinem Schreibtisch. Neben ihm stand Mr Leeson, einen Stapel Dokumente im Arm.
»Ja?« Archer schaute auf.
Leeson trat zurück.
»Ich verstehe das nicht«, stieß sie hervor und eilte erschüttert zu ihm hinüber. »Ich verstehe das überhaupt nicht.«
»Was gibt es denn?« Sein Gesicht drückte Sorge aus.
»Ich habe diesen Brief erhalten.«
Erschrecken blitzte in seinen Zügen auf, und er sprang hoch. Er eilte um den massiven Schreibtisch herum und riss ihr den Brief aus der Hand. Dann überflog er den Inhalt.
»Sehen Sie?« Sie bemühte sich, ihre Stimme ruhig zu halten, obwohl sie zutiefst aufgewühlt war. »Es ist ein Brief, der meine Bewerbung für die medizinische Fakultät ablehnt. Ich verstehe das nicht. Ich habe die erforderlichen Prüfungen mit Leichtigkeit bestanden. Meine Referenzen waren untadelig.«
Er sagte nichts – er hielt nicht einmal ihrem Blick stand. Vor ihren Augen verwandelte sich seine Sorge in etwas anderes, etwas Hartes und Bestimmtes. Auf einmal war er ihr nicht mehr nah, und zwischen ihnen schien ein eisiger Nordwind zu wehen.
»Sie scheinen nicht überrascht zu sein.«
Endlich schaute er auf, und sein kühler Blick und das angespannte Kinn gestanden alles.
Sie dachte an diesen Abend in seinem Zimmer zurück, an sein Beharren, dass sie nicht wieder ins Hospital gehen solle. Sie erinnerte sich daran, dass er für gewöhnlich stumm zugehört hatte, wenn sie über ihre Pläne gesprochen hatte. Sie hatte sein Schweigen als Billigung gedeutet.
»Sie haben etwas mit diesem Brief zu tun?«
Leeson presste die Dokumente gegen die Brust. Seine Miene zeigte Mitgefühl.
»Sie haben Ihren Einfluss genutzt, um dafür zu sorgen, dass die Fakultät mich ablehnt? Warum? Warum haben Sie das getan?«
Archer sprach mit leiser, aber entschlossener Stimme. »Weil ich, Elena, nicht zulassen werde, dass Ihre ehrbaren, doch naiv optimistischen Träume Sie zerstören.«
Sie prallte zurück, und wütende, heiße Tränen stiegen in ihren Augen auf. Bis zu diesem Moment hatte sie nicht begriffen, wie tief sie Archer ins Herz geschlossen hatte. Langsam wich sie mehrere Schritte von ihm zurück und suchte Halt an der gewölbten Rückenlehne eines Stuhls.
Er fuhr fort. »Ich habe nicht so viel in Ihr Leben und Ihre Zukunft investiert, um zuzusehen, wie Sie sich an Prostituierte und Waisen verschwenden und an eine Vielzahl von Menschen, für die keine Hoffnung besteht.«
»Mich verschwenden?«
»Wenn es nicht Jack the Ripper ist, wird es ein anderer Krimineller oder Vagabund sein, der Ihnen wehtut oder Sie mit einer Krankheit ansteckt oder …« Er schluckte die Worte herunter, sichtlich gepeinigt von dem, was er getan hatte, aber fest entschlossen. »Verstehen Sie denn nicht?«
»Ja …« Sie blinzelte ihre Tränen weg; bis zu diesem Moment hatte sie nicht geglaubt, dass Verrat einen Menschen so tief
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