Shadow Killer - Und niemand hoert deinen Schrei
allerdings war so verblüfft, dass sie vollkommen taub für die Geräusche der Umgebung war.
8
»Ich habe es nicht getan. Ich konnte einfach nicht«, vertraute ihr Sonja Garza weiter an, während sie sich, immer noch mit vor der Brust gekreuzten Armen, von ihrem Platz erhob. »Ich habe nie einem Menschen davon erzählt. Wenn ich nur daran dachte, habe ich mich schon unglaublich geschämt. Deshalb habe ich Sie anfangs angelogen. Es ist so viel einfacher, all das zu leugnen, als es mir einzugestehen. Ich dachte immer, dass Isabel die Dinge verdrehen würde, um sich an mir zu rächen, wenn ich auch nur ein Wort davon erzähle.«
Die junge Frau kehrte ans Fenster zurück und blickte in das Unwetter hinaus.
»Ich wollte nicht, dass Isabels Familie etwas davon erfährt«, fügte sie hinzu. »Was hätte das genützt? Sie haben bereits mehr als genug gelitten, und vor allem wollte nicht ich diejenige sein, die es ihnen erzählt.«
Becca wusste, was sie meinte. Sie hatte den Schmerz der Familie in den Augen von Hortense Marquez gesehen. Auch die beiden Brüder trugen jeder schwer an seiner eigenen Last.
»Sie werden es ihnen doch wohl nicht erzählen, oder?« Sonja drehte ihren Kopf und blickte über ihre Schulter. »Ich glaube nicht, dass sie damit fertig würden.«
»Ich bin mir nicht sicher, dass ich ein solches Versprechen halten kann. Es kommt darauf an, wie die Ermittlungen verlaufen.« Becca hatte das Mitgefühl in Sonjas Stimme gehört und passte ihre eigene Stimme daran an. »Was ist passiert? Erzählen Sie mir von Isabel.«
Wieder hörte sie ein dumpfes Donnergrollen, und ein greller Blitz zuckte hinter den Jalousien, bevor der Raum erneut in Dunkelheit versank. Das spärliche Licht der Lampe, die Sonja eingeschaltet hatte, richtete gegen die Finsternis kaum etwas aus, aber wenigstens ebbte das Unwetter allmählich etwas ab. Sonja wandte sich vom Fenster ab, lehnte sich gegen die Wand und schien Becca kaum noch wahrzunehmen, als sie gedanklich in der Vergangenheit versank.
»Sie fing an, mit anderen Leuten rumzuhängen«, stieß sie mit vor Bedauern rauer Stimme aus. »Wir entwickelten uns auseinander, vor allem nachdem sie mit aller Macht versucht hatte, mich …«
Als sie abbrach und zu Boden sah, lenkte Becca sie mit einer anderen Frage ab.
»Mit wem genau hat sie herumgehangen?«
Sonja dachte lange nach, bevor sie Becca eine Antwort gab. »Das habe ich nie rausgefunden. Aber es gab jede Menge Gerüchte.«
»Was für Gerüchte?« Becca sah sie fragend an.
Sonja setzte sich wieder zur ihr auf die Couch und drückte sich ein Kissen vor die Brust.
»Isabel stammte aus einer alles andere als wohlhabenden Familie, plötzlich hatte sie immer jede Menge Geld und teuren Schmuck. Ich fand Mathe in der Schule immer schrecklich, aber zwei und zwei konnte sogar ich zusammenzählen.«
»Sie trug eine Goldkette. Wissen Sie, woher die Kette war?«
»Eine Goldkette?« Sonja runzelte die Stirn.
»Mit einem herzförmigen, diamantbesetzten Anhänger«, erklärte Becca ihr.
Sonja riss verblüfft die Augen auf und musste sichtlich schlucken, schließlich aber schüttelte sie den Kopf.
»Nein, davon weiß ich nichts. Ich glaube, ich habe diese Kette ein- oder zweimal an ihr gesehen. Vielleicht hatte sie sie auf dem Klassenfoto an. Aber woher sie das Ding hatte, weiß ich nicht.«
»Also bitte. Wollen Sie etwa behaupten, Sie wären nicht neugierig genug gewesen, sie danach zu fragen? Wenn ich meine Freundin mit einer solchen Kette sehen würde, wollte ich auf alle Fälle wissen, woher sie so was Teures hat.«
»Sie müssen verstehen, Detective. Wir haben damals kaum noch miteinander geredet. Sie war mir derart fremd geworden, und eine solche Kette hätte mich wahrscheinlich nur daran erinnert, wozu sie sich der Kohle wegen hergegeben hat.«
Sie brach erneut in Tränen aus, die Tragik dieser Geste wurde durch den Regen, der gegen die Fensterscheibe schlug, unterstützt. Nachdem das Gewitter abgezogen war, prasselten die Tropfen wehmütig gegen das Glas.
Um Sonja daran zu erinnern, dass sie nicht alleine war, streckte Becca eine Hand nach ihrer schmalen Schulter aus, und dieses Mal ließ Sonja es geschehen.
Becca sah in Richtung Fenster und nahm durch eine Spalte in den Jalousien hindurch die ersten Sonnenstrahlen wahr. Das Unwetter war vorbei. Sie empfand die wieder freundliche Natur als etwas Tröstliches und hoffte, auch die junge Frau zöge daraus ein wenig Kraft.
»Es tut mir leid, dass ich die
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