Shadow Killer - Und niemand hoert deinen Schrei
Grund?
Die Antwort war ihr klar. Ihr Bedürfnis nach einer Verbindung zu einem anderen Menschen hatte sie dazu gebracht. Sie war eine wahre Meisterin darin, Mauern um sich zu errichten, damit ihr niemand nahekam, doch inzwischen war sie davon vollkommen erschöpft. Becca kannte und verstand dieses Bedürfnis nach Distanz, aber Diego gegenüber hatte sie die Mauern eingerissen. Ausgerechnet einem völlig Fremden gegenüber, der vielleicht noch nicht einmal auf ihrer Seite stand, hatte sie die Hand gereicht. Dieses Vorgehen war sicher nicht besonders klug. Sie konnte nur hoffen, dass das Wort ›selbstzerstörerisch‹ nicht die treffendste Beschreibung dafür war.
Unzählige Fragen zu Diego Galvan gingen ihr durch den Kopf.
Wie viel wusste er tatsächlich über sie? Hatte er ihre Verletzlichkeit absichtlich ausgenutzt, verfolgte er möglicherweise irgendeinen eigenen Plan? Vielleicht kannte er sie ebenso wie Sonja aus dem Fernsehen. Vielleicht wusste er deshalb von der Sache mit Danielle. Wahrscheinlicher jedoch erschien es ihr, dass er durch seine Verbindungen zum FBI erfahren hatte, wer sie war.
Doch im Grunde war das vollkommen egal. Sie hatte zugelassen, dass er einen Weg zu ihrem Herzen fand, Vertrauen hin oder her. Sie selbst hatte dafür gesorgt, dass, was er auch immer säte, auf fruchtbaren Boden bei ihr fiel. Wie weit würde sie ihn gehen lassen? Vielleicht wollte er ja mehr, als sie zu geben in der Lage war.
»Was bist du doch für eine Närrin«, murmelte sie erbost.
An einer roten Ampel fuhr sie sich mit ihren Fingern durch das feuchte Haar, starrte in den Rückspiegel und hatte das Gefühl, als ob sie in die Augen einer völlig Fremden sah. Bis sich das Bild plötzlich veränderte und sie die Ähnlichkeit mit ihrer Schwester in ihren eigenen Zügen entdeckte.
In diesem Augenblick wurde ihr klar – sie hatte es verbockt.
Ihre völlige Fixiertheit darauf, Danis Tod zu klären, hatte ihre professionelle Sicht des Marquez-Falls getrübt. Im Ergebnis hatte sie die Ermittlungen gefährdet und sogar die Vernehmungen auf eine Art geführt, die sie völlig wertlos werden ließ.
Aber gab es überhaupt eine Verbindung zwischen Isabels und Danielles Fall, oder wünschte sie das einfach nur? War es vielleicht einfacher, einem Kerl wie Hunter Cavanaugh die beiden Morde anzulasten, als sich zu gestehen, dass sie Danielles Mörder vielleicht niemals finden würde – dass sie mit ihren verzweifelten Bemühungen gescheitert war? Zähneknirschend bog sie nach rechts in Richtung ihrer Wohnung ab.
Riverwalk
Innenstadt San Antonio
Becca starrte aus dem Fenster ihrer Wohnung auf den Fluss. Der Regen hatte die Touristenscharen, die gewöhnlich dort flanierten, kurzfristig verscheucht. Der Regen hatte der Umgebung einen frischen Glanz verliehen, und als die Sonne wie ein Feuerball am Horizont versank, tauchte sie die letzten Regenwolken in ein leuchtend rotes Licht und zeichnete orange und graue Streifen an den Himmel über den Dächern der Stadt.
Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Es war kurz nach sechs. Aufgrund der Wolkendecke wäre es in einer halben Stunde dunkel. Der Tag neigte sich dem Ende, ohne dass sich Diego auch nur mit einem Wort bei ihr gemeldet hätte.
Als sie vor über einer Stunde heimgekommen war, hatte sie halb erwartet, eine weiße Rose vor dem Fenster auf der Feuerleiter liegen zu sehen. Was aus ihrer Sicht so etwas wie sein Markenzeichen war.
Trotz ihrer Bemühungen, ihre Erwartungen zu dämpfen, hatte ihr Herz bei dem Gedanken daran, dass er abermals in ihrem Garten auf sie warten würde, regelrecht gerast. Mit feuchten Haaren und vom Regen glatter Haut. Sie würde die Regentropfen beneiden, die an seinem warmen Leib herunterliefen, hatte sie gedacht.
Doch keine Rose hatte ihr verraten, dass er in der Nähe war. Die Enttäuschung hatte sie nervös und grüblerisch gemacht.
Trotz der Zweifel, die sie immer noch an seinen Motiven hegte, hatte sie in seiner Nähe das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Auch wenn das vollkommen idiotisch war.
»Ich muss mich endlich zusammenreißen.«
In weißem T-Shirt und marineblauer Polizeisporthose lief sie in die Küche und schenkte sich ein Glas Weißwein ein. Bevor sie allerdings das Glas an ihre Lippen heben konnte, klingelte das Handy. Sie riss es eilig an ihr Ohr.
»Montgomery.«
»Hi, Becca. Hier spricht Sam Hastings.«
Sie erkannte die Stimme des Kollegen von der Spurensicherung.
»Sie sind aber noch spät im Dienst. Was gibt's?«
»Ich
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