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Shadow Touch

Titel: Shadow Touch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
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herunter. Sie keuchte und versuchte, dem Strahl auszuweichen. Rictor hielt sie fest und wurde genauso nass wie sie. Nach einer Minute, der längsten ihres Lebens, wurde das Wasser allmählich warm. Ihr Kittel hing schwer von ihrem Körper herunter.
    »Was soll das?«, stammelte sie und wischte sich schwach das Wasser aus den Augen. »Oder ist das eine andere Art von Folter?«
    »Sauberkeit fördert die Gesundheit«, leierte Rictor herunter, als zitiere er aus seinem Handbuch. »Und der Arzt will, dass Sie kerngesund bleiben.«
    »Ihr Arzt ist verrückt!«, stieß sie hervor und fuhr dann ruhiger fort: »Warum haben Sie das getan, Rictor? Warum haben Sie sich eingemischt? Wenn ich Artur nicht hätte helfen sollen, hätten Sie mich doch aufhalten können. Das wäre Ihnen sicher nicht schwergefallen.«
    Rictor antwortete nicht, sah sie nicht einmal an. Elena fragte sich, ob sie von Kameras beobachtet wurden. Aber schließlich hatte Rictor mit dem Thema angefangen, oder? Also waren sie hier bestimmt sicher.
    »Lebt er noch?«, hakte sie nach. »Wenigstens das könnten Sie mir sagen. Oder habe ich ihn nur geheilt, damit man ihm einen Kopfschuss verpassen konnte?« Allein bei dieser Vorstellung wurde ihr übel.
    Er schwieg. Man konnte wahnsinnig werden, schrecklich ...
    »Rictor!«
    »Nein. Wie gesagt, Sie haben die Sachlage verkompliziert. Vielleicht haben wir beide das getan.« Er trat zurück, bevor sie antworten konnte, und betrachtete ihren Körper mit einer klinischen Gleichgültigkeit, die jedem Arzt Ehre gemacht hätte. »Können Sie sich allein ausziehen?«
    Elena starrte ihn ungläubig an. »Ich hoffe doch sehr, dass Sie nicht wirklich erwarten, ich würde vor Ihren Augen duschen?«
    Sein Schweigen war Antwort genug. Elena fühlte, wie ihr Gesicht heiß wurde, und unwillkürlich krallte sie die Finger gegen die glatten Fliesen.
    »Nein«, sagte sie leise. »Nein. Wie pervers dieser Ort auch sein mag, ich ertrage nicht mehr. Sie drehen sich um, Rictor. Drehen Sie sich herum, verlassen Sie das Bad oder machen Sie sonst was, aber ich werde mich vor Ihnen nicht nackt ausziehen.«
    »So sind die Regeln«, erwiderte er. »Ich muss sie befolgen.«
    »Warum? Beobachtet uns jemand, der sich davon überzeugt, dass Sie das tun?«
    »Nein«, gab Rictor zu. »Trotzdem muss ich es tun.«
    Er stieß die Worte abgehackt hervor. Elena wusste nicht, was ihn wütender machte: ihre Weigerung oder seine Unfähigkeit, die Regeln zu ihren Gunsten zu biegen. Aber das spielte auch keine Rolle.
    »Ich tu es nicht.«
    »Ich kann Sie dazu zwingen.«
    »Dann verdienen Sie es, hier zu sein. Sie verdienen dieses Leben ... und noch viel Schlimmeres.«
    Rictors Miene verfinsterte sich. »Sie sollten nicht so mit mir reden.«
    »Warum nicht? Sie wissen doch sowieso, was ich denke. Warum soll ich es dann nicht aussprechen?«
    Er rührte sich nicht, sondern starrte sie nachdenklich an. Dieser Blick bereitete Elena Unbehagen.
    »Ich habe einen Fehler gemacht«, erklärte er schließlich. »Ich hätte dafür sorgen sollen, dass Sie Angst vor mir haben.«
    »Das nennen Sie einen Fehler? Heilige Scheiße!« Elena schloss einen Moment lang vor Erschöpfung die Augen. Sie musste sich unbedingt hinlegen. »Sie sind nicht besser als die anderen, wer auch immer das sein mag.«
    Im nächsten Augenblick spürte Elena eine große, warme Hand auf ihrem Nacken. Es war keine freundliche Berührung. Rictor stand so dicht vor ihr, dass sie ihr Spiegelbild in seinen Augen erkennen konnte. »Sie sollten hoffen, dass dem nicht so ist«, zischte er. »Beten Sie darum, dass ich besser bin als die anderen.«
    Darauf antwortete Elena nicht. Weil ihre Stimme ihr den Dienst versagen würde. Seine Wut fuhr wie ein Blitz in ihr Rückgrat, zerfetzte ihr Gefühl von Sicherheit, ihr zögerndes Vertrauen. In ihm schlummerte Macht, eine ungeheure Macht, die kaum gezügelt war. Als hätte man die Niagarafälle eingedämmt.
    Elena schluckte. »Sie haben Ihren Standpunkt klargemacht. Jetzt lassen Sie mich los.«
    Rictor ließ seine Hand sinken, er trat zurück und drehte sich zur Seite, zur Tür des Duschraums. »Mehr kann ich nicht tun, Elena. Und jetzt duschen Sie.«
    Er starrte an die Wand. Hätte er es gewollt, so hätte er sie aus den Augenwinkeln beobachten können. Doch Elena hatte keine Lust mehr, sich zu streiten. Ihr Herz hämmerte so hart, dass ihr schwindelte.
    Warum, Rictor? Warum sollte ich Angst vor Ihnen haben?
    Er antwortete nicht. Natürlich nicht.
    Elenas Gesicht

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