Shadow Touch
Elena dachte an ihre eigene Mutter, an ihr letztes Gespräch, die Axt, und an ihren Großvater, der rannte, so verzweifelt rannte ...
Ich war eine Bürde, sie war allein und hatte kein Geld. Seine Stimme erklang tonlos, ohne jede Emotion. Elena drang nicht weiter in ihn. Das ging sie nichts an.
Sie schloss den Riss und noch drei weitere. Alte Wunden, Orte, an denen sein Geist durch Stress geschwächt worden war. Während sie arbeitete, begriff sie, dass diese Orte, auch wenn sie mit seiner körperlichen Krankheit zu tun hatten, von ihrem Wesen her metaphysisch waren und sie jetzt mehr tat, als nur seinen Leib zu heilen. Das war neu, ein fremdes Territorium. Sie hoffte, dass sie seine Persönlichkeit nicht veränderte.
Leises Gelächter erfüllte ihren Geist. Nein. Aber ich fühle mich anders, das schon.
Anders gut oder anders schlecht?
Das weiß ich nicht genau. Gut, glaube ich. Der Schmerz ist zwar nicht verschwunden, aber ich ... ich fühle mich stärker im Kopf.
Ich bin fast fertig. Halten Sie noch einen Augenblick durch.
Elena schloss den letzten Riss, erhaschte dabei einen Blick auf Männer, die um einen Tisch saßen, lachten und scherzten, begleitet von einem Gefühl der Behaglichkeit und Kameradschaft. Dann zog sie sich zurück. Doch im letzten Moment fühlte sie noch, wie etwas ihre Sinne kitzelte. Etwas sehr Kaltes. Unnatürliches. Sie breitete ihre Sensoren aus und suchte nach der Quelle. Als sie sie fand, fluchte sie. Sie wand sich wie ein schwarzer Wurm.
Was ist los?
Irgendetwas ragt da aus Ihrem Gehirn heraus. Und es lebt. Sozusagen.
Schweigen. Das ist ungewöhnlich, ja?
Ich habe noch nie psychologische Chirurgie angewendet, aber ... ja, das sieht nicht normal aus.
Können Sie es entfernen?
Elena antwortete nicht, weil sie zu sehr damit beschäftigt war, diese seltsame Wurzel zu untersuchen. Sie berührte sie.
Schmerz zuckte durch ihren ganzen Körper, ein feiner Sprühregen aus eisigen Nägeln, der sie zerriss, als wäre sie ein Gewebe. Elena schrie auf und registrierte schwach, dass der Russe seinen Rücken bog und in ihren Schrei einstimmte. Sie hörte, wie Rictor ihren Namen rief, konnte aber nicht antworten, vermochte sich nur an den Mann unter ihr zu klammern, der unter diesen schrecklichen Qualen erbebte.
Der Russe packte ihren Rücken und zog sie an sich. Es war schwer zu unterscheiden, ob seine Berührung echt war oder nur eine Illusion, so sehr war sie von der Welt seines Geistes durchtränkt.
Nein, antwortete sie auf seine unausgesprochene Frage. Ich muss es herausreißen.
Es kann Sie umbringen.
Nein, wiederholte sie und schlang ihren Geist um den Wurm. Wieder durchströmte sie der Schmerz, aber Elena ließ nicht locker, sondern weigerte sich, sich dieser entsetzlichen Dunkelheit zu beugen, die da unter ihrem Griff zuckte. Eine Frauenstimme flüsterte ihr etwas zu - halt, lass los ...
Elena weigerte sich. Sie riss, zerrte, zerfetzte ...
Sie schaffte es beinahe. Fast. Am Ende war sie aber nicht stark genug, den Wurm ganz herauszuziehen. Eine Faser blieb haften, steckte in den Erinnerungen des Russen. Der Schmerz verstärkte sich; ihr Herz schien in Flammen zu stehen. Sie konnte nicht mehr atmen.
Dann war der Russe da, eine große, warme Gegenwart, die sich um ihren Geist wand und seine Kraft mit ihrer verband. Der Schmerz ließ nach, und ihr wurde klar, dass er ihr die Bürde von den Schultern nahm und die Qual in sich aufsaugte.
Versuchen Sie es noch einmal, sagte er. Seine Stimme klang nun gepresst.
Sie zogen zusammen, und der Wurm dehnte sich wie ein Schrei, ein langer, ruchloser Schrei. Elena fürchtete, ihr Geist würde zerreißen, aber der Russe ließ sie nicht los. Er hielt sie so fest, dass sie fühlte, wie ihre Geister miteinander verschmolzen.
Ein merkwürdiges grünes Licht flackerte am Rand ihres Blickfeldes. Es setzte Kräfte frei. Der Tentakel löste sich mit einem Klatschen, der Wurm war frei. Elena versuchte, ihn zu ergreifen, aber das Geschöpf löste sich in Schatten auf, nachdem es seine Gewalt über den Geist des Russen verloren hatte. Der Schmerz endete. Elena fühlte sich für einen Moment vollkommen orientierungslos, als hätte sie keinen Maßstab mehr, ihre eigene Existenz wahrzunehmen. Der Schmerz war alles gewesen - und hatte alles verzehrt. Ohne ihn fühlte sich ihre Realität ärmer an, geplündert, und zum ersten Mal in ihrem Leben empfand sie, wie ihr Geist durch einen anderen Körper trieb und zu erschöpft war, um nach Hause
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