Shadow Touch
Würde er aber erst die ganze Wahrheit erfahren, so hätte er Todesangst.
Mikhail schwieg lange. Er saß nur da, starrte in seinen Wodka und hielt ihn so, dass das Licht durch das Kristallglas fiel und ein wunderschönes Spektrum auf die braune Schreibtischplatte zauberte. »Du hast dich verändert«, sagte er schließlich. »Den Artur Loginov, den ich kannte, kümmerte nichts, außer: seine eigene Nase sauber zu halten.«
»Ich habe dich gerettet, oder nicht?«
»Eine kurze Verirrung. Aber ich will zugeben, dass ich sehr glücklich war, als ich hörte, dass du entkommen konntest. Wir waren für dieses Leben nicht geeignet.«
»Danke«, antwortete Artur. Irgendwie freute ihn diese Bemerkung.
Mikhail nickte. »Du bist wegen einer Frau weggegangen, stimmt’s? Diese Ballerina, Tatyana Dimitriyewna. Ich habe sie einmal auf der Bühne gesehen. Wunderschöner Körper. Zu schade, was mit ihren Beinen passiert ist.«
Es traf Artur wie ein Schock, Tatyanas Namen aus Mikhails Mund zu hören. Er hatte nicht gewusst, dass dieser Mann überhaupt von seiner Beziehung zu ihr gewusst hatte. Offenbar war ihm seine Überraschung anzusehen. Mikhail hob die Hände. »Ja. Das war schon wieder sehr unfreundlich. Tut mir leid, dass ich so eine große Klappe habe. Trotzdem habe ich mich immer gefragt, was wohl für dich die Grenze wäre. Ich nehme an, jetzt weiß ich es.«
»Tatyana war eine gute Frau«, sagte Artur leise. »Sie hat es nicht verdient, so verunstaltet zu werden.«
»Gute Frauen verdienen so etwas nie«, stimmte ihm Mikhail zu und rieb den Rand seines Glases. »Und diese neue Frau? Die du mitgebracht hast?«
»Du hast es selbst gesagt. Sie ist auch gut.« Arturs Stimme klang dumpf, tonlos und hart. Eine Warnung vor weiteren Fragen.
Mikhail lächelte. »Ich mag sie sehr.«
Artur beachtete diese Bemerkung nicht. »Ich muss nach Moskau.«
»Um dieses Gipfeltreffen zu verhindern? Das ist unmöglich, Artur. Wie willst du das anstellen? Willst du die Polizei informieren?«
Das war tatsächlich lächerlich. Die Polizei, ja selbst die Armee, würde diesen Männern nichts anhaben können. Sie hatten überall ihre Finger drin; es würde der Regierung einen ungeheuren Aufwand bereiten, wenn sie ihnen die Finger abschneiden wollten; einen Aufwand, den sie, offen gestanden, unmöglich leisten konnte. Dem Mob gehörte einfach zu viel von Russland. Wenn ihnen Beatrix das Land versprach und sie dazu brachte, ihr zuzuhören, so hatte sie ganz offensichtlich mehr vor, als es ihnen nur feierlich zu übergeben. Wenn sie ihr Wort hielt, was er nach allem, was er von ihr wusste, ernstlich bezweifelte, dann würde ihre Geste gewiss größer ausfallen, explosiver.
»Bitte«, sagte Artur. »Ich muss es wenigstens versuchen.«
Mikhail sah ihn säuerlich an. »Ich nehme an, du willst meinen Segen, ja?«
»Eigentlich habe ich es mehr auf dein Geld abgesehen«, gab Artur zu. »Genauer gesagt, auf so viel, dass ich überhaupt dorthin kommen kann.«
»Und genug für deine Freunde, denke ich.«
Artur schüttelte den Kopf. »Es ist zu gefährlich. Ich bringe sie woanders unter.«
»Du musst blind sein, oder dumm. Wie auch immer, ich werde dir genug Geld für euch alle mitgeben. Und Papiere. Mein Gott, ich habe das Gefühl, als finanzierte ich dir deinen Selbstmord.«
»Oder als würdest du mir Geld geben, damit ich erneut dein Leben rette.«
»Das bezweifle ich. Danach sind wir quitt, einverstanden?«
»Ja.« Artur stand auf und schüttelte Mikhail die Hand. Er wurde von Gefühlen und Sorgen beinahe überwältigt, von Mitgefühl, Zuneigung - er hat sich so verändert, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe; was für ein Verlust; wie schade, dass er sterben wird, ich glaube, wir könnten Freunde sein - und einem Gefühl von Stolz. Mikhail ließ seine Hand nicht los.
»Du wirst sterben, wenn du das tust«, sagte er. »Nenn es Instinkt. Ich fühle es.«
»Ich glaube dir.« Artur betrachtete Mikhails ernstes Gesicht, während er mit dem Gefühl rang, dass hier, vor seiner Nase, ein Mann saß, der vor all den Jahren fast wie ein Vater für ihn hätte gewesen sein können. »Ich habe keine Wahl.«
»Genau das«, gab Mikhail traurig zurück, »ist der Grund, warum die Guten immer so jung sterben.«
11
Elena mochte keine Feuerwaffen. Es war etwas Persönliches und hatte nichts mit Politik oder Moral zu tun. Sie hielt sie einfach nicht für sicher, schon gar nicht in den Händen von jemandem wie ihr selbst, die in ihrem Umgang nicht
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