Shadowblade: Dunkle Fesseln: Roman (Knaur HC) (German Edition)

übernatürlicher Geschwindigkeit aus. Rauch stieg in dichten Wolken in den Himmel. Max biss sich auf die Unterlippe und schmeckte Blut. Verdammter Engel. Aber es war nicht seine Schuld. Er hatte keine Wahl. Er gehörte Hekau. Wenn es schon bei Giselle schwer war, nein zu sagen, dann konnte Max sich nicht vorstellen, wie es sein musste, einer Hüterin zu trotzen.
    Ihr Weg führte sie durch steile Bergpässe. Sie waren weniger als eine Meile vom Sitz des Zirkels entfernt, als sie um den Deadman’s Spur kam und in die Bremsen trat. Die Reifen quietschten, und der Pick-up brach seitwärts aus, bevor sie mit einem Ruck zum Stehen kamen. Max riss die Tür auf, sprang aus dem Auto und starrte entsetzt auf den Anblick, der sich ihr darbot.
    Über der Straße waberte ein Vorhang aus undurchsichtigem Grau. Er erfüllte die Schlucht von einer Seite zur anderen wie eine große, umgestülpte Schüssel. An den Rändern stieg er an, um die Felswände zu bedecken, die die Straße einrahmten. Dahinter flackerten Rauch und Flammen auf den zerklüfteten Kämmen im Norden, Westen und Süden. Die Barriere strahlte ein schwaches perlmuttfarbenes Licht aus. Scharlachrote und schwarze gezackte Streifen flackerten wild darauf umher. Was dahinter lag, konnte Max nicht sehen. Kälte sickerte ihr durch die Eingeweide. Horngates Schilde sollten eigentlich von einem fast durchsichtigen Perlweiß sein, und Max hätte dazu in der Lage sein sollen, einfach hindurchzugehen. Doch hier stimmte etwas nicht. Sie spürte eine abweisende Bosheit, die ihr entgegenschlug. Es fühlte sich … hungrig an.
    Alexander ergriff ihren Arm, als sie näher herangehen wollte. »Wenn du versuchen willst durchzugehen, schick mich vor«, bat er sanft.
    Max entzog sich ihm und ging näher heran, bis sie nur noch Zentimeter von der Barriere entfernt war. Er begleitete sie. Die Oberfläche kräuselte sich wie Seide im Wind, und darunter wogte etwas Dichteres und Dunkleres. Wenn es darauf ankam, müsste sie diejenige sein, die versuchte hindurchzutreten – egal, was Alexander wollte. Er hatte nicht den Schlüsselzauber, der ihm Türen öffnen konnte. Ihre Chancen standen vermutlich etwa so gut wie die eines Schneeballs in der Hölle. Er hatte keine.
    Sie berührte die Ausbuchtung in ihrer Hosentasche. Sie hatte das Hagelkorn. Es konnte sie hindurchbringen. Möglicherweise hätte sie es dann auf etwas verschwendet, das ihr vielleicht auch alleine gelungen wäre. Sie musste es einsetzen, um Horngate zu helfen. Wenn sie nur gewusst hätte, was sie sich wünschen sollte. Sie trat einen weiteren Schritt zurück. Es gab einen anderen Weg hinein – wenn er nicht auch versiegelt worden war. Das Problem bestand darin, dass es möglicherweise ein tödlicher Weg war.
    »Lass uns verschwinden«, sagte sie zu Alexander und drehte sich um. Sie kam keine drei Meter weit.
    »Ich glaube kaum.«
    Max wirbelte herum und riss ihre 45er aus dem Halfter. »Alton – was zum Teufel machst du hier?«
    Der Hexer stand am Straßenrand im Schatten einer hohen Zeder, und der Rauch verwischte seine Umrisse. Er trat auf den Asphalt wie ein Dämon, der sich aus der Hölle erhob. Max’ Magen verkrampfte sich, und Galle stieg in ihrem Rachen empor. In den letzten Tagen war er noch jünger geworden. Jetzt sah er aus wie Anfang zwanzig. Seine Haut strahlte Gesundheit aus, und seine Augen waren von einem so leuchtenden Grün, als hätte er Giftmüll getrunken.
    »Ich freue mich sehr, dich zu sehen, Max. Ich habe auf dich gewartet«, erklärte er mit seiner widerlich süßen Baritonstimme. Er fuhr mit der Hand über den Schild, und rote Schwaden bündelten sich unter seinen Fingern. Er lächelte mit einem gierigen, selbstgefälligen Ausdruck, für den sie ihm am liebsten eine reingehauen hätte.
    »Du hast auf mich gewartet?«, fragte sie vorsichtig. »Warum? Woher wusstest du, dass ich kommen würde?«
    »Es wurde vorhergesagt. Man hat mich geschickt, um dich einzusammeln. Und natürlich Giselle. Falls sie überlebt.«
    »Überlebt?« Adrenalin schoss durch Max’ Adern, und ihre Bannzauber zogen die Zügel fest, so dass sie ihr tief in die Seele schnitten. Trotz der Schmerzen hielt sie sich sorgfältig unter Kontrolle. Sie brauchte Antworten, und es machte den Eindruck, als hätte Alton einige davon. Außerdem hatte der früher mittelmäßige Hexer besorgniserregende Kraft gewonnen. Sie konnte ihn nicht bei einem Frontalangriff besiegen.
    »Ach ja. Soll ich dir erzählen, was da drin vorgeht?«,