Shadowblade: Dunkle Fesseln: Roman (Knaur HC) (German Edition)
Handbewegung. Der Stern erstrahlte von Hexenfeuer. Weitere Worte, eine weitere Handbewegung, und das Licht des Dreiecks verblasste. »Könntest du bitte den Brief in den Stern legen und anschließend ins Dreieck zurücktreten?«
Er drehte die Schriftrolle in seinen Fingern hin und her. Schließlich trat er vor, bückte sich und legte sie auf den Boden. Dann zog er sich zurück. Selange aktivierte das Dreieck wieder, aber sie machte keinerlei Anstalten, den Stern zu deaktivieren und die Nachricht zu holen. Der Engel sagte nichts, sondern stand mit den Daumen in den Gürtelschlaufen seiner Jeans einfach da. Dabei starrte er sie mit einer so bösartigen Kälte im Blick an, dass die Luft zu gefrieren schien. Es lag etwas Lauerndes in seiner Ruhe, etwas drohend Wildes, wie das erste Züngeln eines Flächenbrands.
Falls Selanges Schutzzeichen nicht hielten, war Alexander sich nicht sicher, ob er sie erfolgreich verteidigen konnte. Erneut schob er sich langsam vor. Die roten Augen des Engels richteten sich auf ihn, durchbohrten ihn förmlich. Hitze glühte in Alexanders Schädel auf. Durchaus nicht unfreundlich lächelte der Engel ihn an und senkte dann den Blick. Alexander blinzelte, holte leise Atem. Ihm zitterten die Knie. Engel hatten entsetzliche Kräfte. Das wusste er, obwohl er nie zuvor einem begegnet war, denn sie wandelten nicht oft auf Erden. Nachdenklich kniff er die Augen zusammen. Wer verfügte eigentlich über so große Macht, um diesen Engel an der Leine zu halten? Wer war mächtig genug, um ihn als Boten einspannen zu können? Und wichtiger noch: In was für Ärger war Selange da hineingeraten?
»Gibt es sonst noch etwas?«, fragte Selange angespannt.
»Meine Herrin möchte ihr Engagement und ihre Redlichkeit demonstrieren. Sie bietet dir ein Geschenk, das ihre guten Absichten zeigen soll.«
Selange zuckte zurück. »Deine Herrin ist gütig. Bitte bestell ihr meine Grüße.«
Erneut achtete sie darauf, sich zu nichts zu verpflichten, doch Alexander hörte die Nervosität in ihrer Stimme. Das erschütterte ihn. Er gehörte seit mehr als einem Jahrhundert zu ihr. Sie war nicht leicht einzuschüchtern.
»Du fragst nicht, was es für ein Geschenk ist. Sonderbar.« Der Engel verschränkte die Arme, und seine Flügel flammten leicht auf. Heiße Glut tropfte auf den Boden und verbrannte das Holz.
»Das würde ich mir niemals anmaßen.«
»Ah. Dann wird es eine Überraschung sein. Rechne damit, dass es morgen vor Mondaufgang beginnt. Ich werde sehr bald zurückkehren, um deine Antwort für meine Herrin einzuholen.«
Damit sprang der Engel in die Luft und breitete die Flügel aus. Mit einer kraftvollen Bewegung schlug er einmal damit und schoss nach oben. Feuer flackerte auf, loderte und füllte den Bereich im Dreieck. Ein helles gelbes Licht erschien in der Nähe der Decke. Alexander fuhr herum und wandte das Gesicht ab. Es gab eine Erschütterung, die Wände und Boden wackeln ließ. Dann erlosch das Licht.
Er schaute nach oben. Flecken tanzten vor seinen Augen. Der Mistkerl war verschwunden, und der Boden im Innern des Dreiecks war schwarz, aber die Schutzzeichen hatten gehalten. Bevor er etwas sagen konnte, würgte Selange alle Fragen ab.
»Lass mich jetzt allein.« Sie hob die Hände und wedelte damit. Er war entlassen.
Doch Alexander regte sich nicht. »Was ist hier los?«, wollte er wissen.
»Ich habe dir befohlen, mich allein zu lassen«, sagte Selange. Ihre verkrampfte Miene drückte Hass aus, vielleicht sogar Angst.
»Erst wenn du mir sagst, was hier los ist. Ich kann dich nicht beschützen, wenn ich die Bedrohung nicht kenne.«
Sie antwortete nicht, sondern schritt langsam den Kreis ab, wobei sie die Schriftrolle beäugte. Der Stern war noch immer erleuchtet: Offenbar vermutete sie also, dass die Nachricht mit einem bösartigen Zauber belegt war. Schließlich blieb sie stehen und schaute ihn an, und ihr scharlachroter Mund verzog sich zu einem grausamen Lächeln. »Mich beschützen? Vor ihm? Vor seiner Herrin und ihren Gaben? Denkst du, dass du das kannst?« Ihr Blick fiel erneut auf das Schriftstück. Sie zupfte sich mit den Fingern an der Oberlippe. »Für dich gibt es hier nichts zu tun. Lass mich allein.«
Alexander konnte sich nicht zurückhalten. »Und Marcus? Ist das der Grund, warum du ihn zum Primus heranziehst? Ich habe dir ein Jahrhundert lang gedient. Glaubst du, dass er bessere Arbeit leisten wird als ich? Glaubst du, er kann es mit dem Engel aufnehmen und gewinnen?«
Selange
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