Shadowblade: Dunkle Fesseln: Roman (Knaur HC) (German Edition)
Max bei der Hand. Die Finger der Hexe waren warm, kräftig und feingliedrig. Als sie weiterging, zog sie Max mit sich. Gemeinsam durchquerten sie eine scheinbar papierdünne Verhärtung in der Luft. Eisige Kälte durchfuhr Max und kristallisierte sich in ihrer Kehle. Dann waren sie hindurch. Max sog die warme Nachtluft ein und schüttelte Giselles Hand ab.
Eine Bewegung erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie drehte sich um. Weiße Nebelschwaden stiegen aus dem Erdboden in den Himmel auf, flossen ineinander und bildeten ein geisterhaftes Gespinst aus dämonischen Fratzen. Während sie zusahen, verwandelte sich das Gewebe in eine dichten Wand. Es gab Geräusche von sich, die trocken klangen – wie ein Schlangenleib, der sich an sich selbst rieb. Die Wand bewegte sich auf sie zu und verschluckte das Gebiet dahinter.
»Geh weiter. Du möchtest nicht, dass dich das berührt«, warnte Giselle und streifte Max’ Schulter, als sie sich umschaute.
Der Mond war zwischen den Wolken hervorgekommen und leuchtete hell und klar am Himmel, als sie schließlich oben auf der Kuppe ankamen. Das Mondlicht erzeugte Blasen auf Max’ entblößten Hautstellen. Die Wunden verheilten sogleich und wurden durch neue Blasen ersetzt, während Max abwechselnd durch Schatten und Licht schritt. Sie unterdrückte den Drang, sich zu kratzen, obwohl das Jucken der Heilzauber sie wahnsinnig machte. Der Weg bog nach rechts und umrundete einmal die Kuppe, bevor er schnurgerade über eine Fläche mit smaragdgrünem Gras führte. Ab diesem Punkt war er mit Platten aus Amethyst gepflastert.
Entschlossen trat Max aus dem Schutz der Bäume. Ihre Sicht wurde unklar und schwand, als ihre Augen Blasen warfen. Sie konnte ein leises Zischen hören, als ihre Haut zu kochen begann. Der Schmerz brandete in Wellen über sie hinweg und hüllte sie ein wie ein pulsierender Kokon. Sie schüttelte sich und nahm ihn an. Es war ihr Schmerz. Und das war gut.
Die Grünfläche erstreckte sich zu beiden Seiten des Wegs und umgab einen großen Steinklotz von einem Gebäude, das an eine alte Missionskirche erinnerte. An der linken vorderen Ecke ragte ein Turm mit Kuppeldach empor, an der rechten ein etwas kleinerer Glockenturm. Max vermutete, dass spanische Mönche das Bauwerk errichtet hatten – oder Hexen, die sich als Mönche ausgegeben hatten.
Blühender Jasmin verhüllte die grob behauenen Steine wie ein Blättervorhang, und am Boden war die alte Kirche von Unmengen Rosmarinsträuchern umgeben, deren Stengel mit kleinen blauen Blüten übersät waren. In den Torbögen auf der gesamten Frontseite waren weder Türen noch Glasfenster zu erkennen. Stattdessen erhellte sie flackernder Kerzenschein. Intensive Gerüche von Kräutern und Ölen strömten durch die leeren Fensteröffnungen und vermengten sich mit den starken Düften von Blumen, Smog und wirbelnder Magie. Das Gemisch war so kräftig, dass Max kaum die Menschen im Innern der Kirche riechen konnte. Sie wusste, dass sie sich dort versammelt hatten – locker drei- bis vierhundert Personen.
Plötzlich blieb Max stehen und erstarrte. Sie wandte den Kopf. Jemand beobachtete sie.
Kapitel 6
A lexander fragte sich langsam, ob Max und ihre Hexe überhaupt beim Konklave erscheinen würden. Vielleicht dachten sie, dass sie Selange entkommen konnten. Er wusste nicht, ob er darüber froh sein sollte oder nicht. Er war mehr als nur ein bisschen fasziniert von Max. Sie hatte die Wintergreisin gerettet und Blutsbande mit dem Göttlichen Geschöpf geknüpft. Das grenzte an Wahnsinn oder kriminelle Dummheit. Das Gleiche galt dafür, dass sie ihn am Leben gelassen hatte. Doch er glaubte nicht, dass sie wahnsinnig oder dumm war. Warum hatte sie es also getan?
Diese Fragen ließen ihm keine Ruhe. Ihm war klar, dass er früher oder später die Antworten darauf erhalten würde. Sobald er den Wettstreit in dieser Nacht für sich entschieden hatte, würde Selange sämtliche Informationen aus Max herausholen. Er spannte die Kiefermuskeln an. Es spielte keine Rolle, ob sie freiwillig etwas verriet. Selange würde nichts davon glauben, ohne sie zu foltern. Seine Hexe setzte mehr Vertrauen in diese Verhörmethode als in jede andere. Danach wäre Max möglicherweise zu nichts mehr zu gebrauchen. Oder tot.
Er erinnerte sich an den langen hypnotischen Moment, als er ihr in die Augen geschaut hatte. Beinahe glaubte er, ihr erneut gegenüberzustehen und sich wieder so vorzukommen, als würde er in einen Abgrund stürzen. Hitze durchströmte
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