Shadowblade: Dunkle Fesseln: Roman (Knaur HC) (German Edition)
»Vielleicht mache ich das, sobald ich ein paar Sachen erledigt habe.«
Die Frage, um was es sich dabei handelte, lag ihm auf der Zunge, doch er verkniff sie sich rechtzeitig. »Du bezeichnest mich als Verschwendung von Haut und Knochen, aber du bist nicht besser. Ich würde mich niemals auf dich verlassen wollen.«
Damit wirbelte er herum und ging. Er umrundete die Sagrado und folgte dem Fußweg, der am Rand der Kuppe verlief. Auf der anderen Seite wogte der Nebel wie ein Heer zorniger Geister. Max’ Worte wurmten ihn. Sein Körper verkrampfte sich im Kampf gegen dieses nagende Gefühl, doch es ließ sich nicht zurückdrängen. Verschwendung von Haut und Knochen.
Er lief auf und ab. Groll und Wut trieben ihn an. Das passte nicht zu ihm. Für gewöhnlich bewahrte er auch in den schlimmsten Situationen die Ruhe. Aber in dieser Nacht fand er sein Gleichgewicht nicht. Es lag nicht nur an seiner Anspannung wegen Max. Es war wegen Selange. Sie hatte Angst. Wenn man sie in die Ecke drängte, würde sie alles tun, um zu überleben – um zu gewinnen. Den ganzen Tag über hatte er sich ausgemalt, was sie mit dem Stab der Wintergreisin machen könnte, wenn sie ihn fand. Damit könnte sie blutige Unruhen in San Diego auslösen, so dass sie die Magie von Gewalt und Tod trinken konnte. Er knirschte mit den Zähnen. Sie würde nicht mit der Wimper zucken und ein Gemetzel von biblischen Ausmaßen anrichten. Sie würde die Grenze übertreten, von der er sich geschworen hatte, sie nie wieder anzutasten. Und dann? Würde er in die Sonne treten, wie er es angedroht hatte? Er konnte nicht gegen sie kämpfen, und er konnte sie nicht aufhalten. Aber Selbstmord war feige.
Ein Geräusch, das eher eine leichte Strömung in der Luft war, ließ ihn herumfahren. Der Kerzenschein in den Fenstern der Sagrado wurde trüb, als weißer Nebel aufstieg und das Konklave in sich abschottete. Abrupt verstummte das Stimmengewirr aus dem Innern. Gleichzeitig erhob sich der wogende Nebel auch jenseits des Wegs und bildete eine düstere Kuppel am Himmel, so dass die Spitze des Hügels vollständig eingeschlossen war.
Das Knirschen von Kies und eine huschende Bewegung versetzten ihn in Anspannung. Max kam hinter der Sagrado hervor und ging auf ihn zu. Auf eine kämpferische Weise war sie äußerst anmutig. Ihr Körper war eher kantig als kurvenreich, obwohl ihr Outfit geradezu dramatisch sexy war. Sie blieb vor ihm stehen und schob das spitze Kinn vor.
»Das hätte ich wahrscheinlich nicht sagen sollen.«
»Wahrscheinlich?« Zu seiner Überraschung freute er sich über ihre Gesellschaft. Besser, als allein mit seinen Gedanken zu sein.
Sie verdrehte die Augen. »Manchmal vergesse ich, hin und wieder einfach mal die Klappe zu halten. Das ist genetisch. Ich kann nichts dagegen machen.«
»Trotzdem hast du es so gemeint.«
Sie zog eine Grimasse und zuckte mit der Schulter, während sie die Arme verschränkte und sich breitbeinig hinstellte. Dann seufzte sie, schaute auf ihre Füße und krümmte die Zehen. »Ich habe mir dieses Leben nicht ausgesucht, und ich will es auch ganz sicher nicht. So wie ich das sehe, ist nur eine tote Hexe eine gute Hexe. Aber das gibt mir nicht das Recht, über dich zu urteilen. Vielleicht ist deine Hexe in Ordnung.« Als sie diese Worte aussprach, verzog sich ihr Gesicht, als hätte sie den Mund voller Chilischoten.
Nachdenklich fuhr Alexander sich mit der Hand über Mund und Kinn. Er war sich nicht sicher, was er darauf antworten sollte. Zu behaupten, dass sie ihn – ein weiteres Mal – vollkommen verblüffte, wäre eine Untertreibung gewesen. »Sag mir die Wahrheit: Bist du verrückt?«
Sie bedachte ihn mit einem Seitenblick und schien zu überlegen, ob er die Frage ernst meinte. Schließlich hob sie in einer gespielt dramatischen Geste die Hand an die Stirn und warf den Kopf in den Nacken. »Ach, Liebster – du hast mein Geheimnis erraten.«
»Welches Geheimnis? Du stolperst herum wie ein Elefant im Porzellanladen. Selbst ein Blinder könnte erkennen, dass du verrückt bist. Wie zum Teufel hast du es bloß geschafft, Anführerin der Shadowblades zu werden?«
»Vielleicht, weil ich eindeutig ein so großes Risiko darstelle?«, meinte sie mit einem flüchtigen selbstironischen Lächeln. »Kurz gesagt: Ich habe mir die falschen Freunde ausgesucht. Und du?«
»Ich bereue es nicht«, verteidigte Alexander sich und fragte sich insgeheim, wen er hier zu überzeugen versuchte.
»Das ist keine Antwort auf meine
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