Shadowblade: Dunkle Fesseln: Roman (Knaur HC) (German Edition)
Ausdruck himmlischer Verzückung im Gesicht.
»Willst du was?«, fragte Niko Alexander und überraschte ihn damit.
Er schüttelte den Kopf. Sein Hunger war verflogen, und Müdigkeit packte ihn. Ohne ein weiteres Wort kletterte er auf seine Krankenbahre. Als er sich auf den Rücken legte, wurde ihm klar, dass er sich so viel zu angreifbar fühlte. Sein Magen krampfte sich zu einem steinharten Ball zusammen. Er war ganz und gar ihrer Gnade ausgeliefert. Selbst wenn er entkam, konnte er wohl kaum zurück zu Selange. Wollte er das überhaupt? Er überlegte. Sein erster, saudummer Gedanke war, dass er es natürlich wollte. Aber als er darüber nachdachte … Er erkannte, dass er sich so frei wie nie zuvor fühlte – soweit er sich erinnern konnte. Als ob alles, was ihn ausgemacht hatte, verbrannt war und er namenlos und ohne irgendwelche Fesseln aus den Flammen getreten war. Ich bin frei.
Diese Vorstellung stieß ihn ab. Er wollte seine Freiheit nicht. Er war ein Shadowblade, er brauchte einen Zirkel und eine Hexe, der er dienen konnte. Eine andere Art zu leben kannte er nicht und wollte sie auch nicht kennenlernen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als Giselles Pläne für ihn abzuwarten und zu hoffen, dass Max ihre Worte ehrlich gemeint hatte.
Meine Leute.
Kapitel 9
N ie zuvor in ihrem Leben hatte Max so dicht an der Schwelle des Todes gestanden. Überraschenderweise – nein, erschreckenderweise – hatte sie festgestellt, dass sie nicht sterben wollte. Selbst als die samtene Dunkelheit sie von so nah gelockt hatte, selbst als es ihr vorgekommen war, als hätte sie nicht genug Kraft, um aus dem Abgrund zurückzukehren, hatte sie sich nicht erleichtert der Ruhe hingeben können. Sie war zurückgekehrt, weil es ihre Pflicht war. Nein, es ging darüber hinaus. Sie wollte das Leben. Sie wollte Niko und Oz aufziehen, mit Tyler Bier trinken, Akemi und Lise piesacken, durch die Wälder von Horngate wandern und in den hohen Bergseen schwimmen … Sie wollte so vieles.
Langsam aß sie ihr Eis und genoss den intensiv süßen Geschmack. Zugleich rümpfte sie die Nase über den Geruch der antiseptischen Putzmittel und den damit vermischten scharfen Duft von Blut, Schweiß und alter Angst. Sie fühlte sich angeschlagen, aber das Essen und die Flüssigkeitszufuhr aus dem Tropf würden das schon bald beheben. In vierundzwanzig Stunden wäre sie völlig geheilt. Sie schaute zu Alexander, der zwei Tische weiter lag. Anscheinend schlief er, doch es würde sie überraschen, wenn das tatsächlich der Fall war. Sie runzelte die Stirn. Was zum Teufel sollte sie mit ihm machen? Was hatte Giselle mit ihm vor?
»Was ist passiert?«, fragte Niko und setzte sich zu ihr, während er sein eigenes Eis verschlang.
Max warf ihm einen Seitenblick zu und hob fragend die Brauen.
Niko schob das Kinn vor. »Was ist?«
»Du wirst ein bisschen aufdringlich, findest du nicht?«
Er zuckte mit den Schultern. »Jetzt habe ich dich nackt gesehen. Das ändert doch alles, nicht wahr?« Er hielt inne, und der belustigte Ausdruck wich von seinem Gesicht. »Natürlich bist du da fast tot gewesen.«
»Erzähl mir nicht, dass du mich vermisst hättest«, sagte Max ironisch und bohrte ihren Löffel erneut ins Eis.
Seine Reaktion verblüffte sie. »Fick dich«, sagte Niko und schleuderte seinen Becher fort, der eine Delle in einem Schrank hinterließ und laut durch den Anhänger polterte. Er sprang auf und wirbelte zu ihr herum. »Fick dich doch einfach. Das hab ich nicht verdient. Keiner von uns verdient das.«
Verblüfft schaute sie Niko an. Er zitterte vor Wut. Die Muskeln an seinen Armen und seinem Hals traten hervor, als müsste er jedes bisschen Selbstbeherrschung aufbringen, um sie nicht zu schlagen. Sie stellte ihr Eis ab und hob die Hände.
»Ruhig, Junge. Das war ein Witz. Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«
Sarkastisch grinste er sie an. »Hätten wir dich nicht zurückgerufen, wärst du auf dem OP-Tisch gestorben. Nicht wahr?« Er schaute zu Tyler und Akemi.
Mit angespannten und kalten Mienen nickten sie langsam. Offenbar waren sie nicht weniger wütend als Niko.
»Was meinst du damit?«
»Ich meine, dass du so gut wie tot warst. Giselle meinte, dass du verhindert hättest, dass sie dich in Ordnung bringt. Sie hat uns gesagt, dass wir mit dir reden sollen, um dich zurückzurufen. Also haben wir es gemacht. Willst du wissen, warum? Ich sag’s dir. Wir drei sind wegen dir noch am Leben – weil du uns ausgebildet hast
Weitere Kostenlose Bücher