Shadowblade: Dunkle Fesseln: Roman (Knaur HC) (German Edition)
nach den Knien des Engels. Der plötzliche Aufprall zerschmetterte ihm mit einem hörbaren Knirschen eine Kniescheibe. Eigentlich hätte er zu Boden gehen müssen. Stattdessen bewegte er einen seiner Flügel und hielt ihn wie ein Schild zwischen sie. Helle Flammen loderten entlang der Federn auf. Mit einem Messer in der Hand duckte Max sich. Sie war zum Angriff bereit. Giselle rief sie zurück.
»Max, warte.«
Max hielt inne. Schweigen senkte sich über sie wie die Stille kurz vor der Detonation einer Atombombe. Max hörte das leise Knistern der Flammen auf den schwarzen Federn des Engels und roch den Gestank von brennendem Teer, als das Feuer den Asphalt versengte. Mit seinen roten Augen und einer verstörend ausdrucksloser Miene starrte er sie an. Max lächelte und warnte ihn ohne Worte davor, irgendetwas zu versuchen.
»Was willst du?«, fragte Giselle.
»Meine Herrin schickt mich mit einer Nachricht für dich«, antwortete der Engel mit seiner Baritonstimme.
»Tut sie das? Erklärt sie mir den Krieg?«
»Nein.«
»Warum greifst du dann an?«
»Das war lediglich ein Unfall, Hexe. Ich bitte um Vergebung.«
Er klang nicht im Entferntesten so, als täte es ihm leid.
»Wer ist deine Herrin?«, wollte Giselle wissen. Ihr Tonfall verriet, dass sie ihm genauso wenig glaubte, wie Max es tat.
»Das soll die Schriftrolle erklären.«
Der wasserstoffblonde Engel reichte ihr ein zusammengerolltes Pergament. Knöpfe aus Knochen, die mit roten und purpurfarbenen Schnüren umwickelt waren, waren an den Enden befestigt. Die Knöpfe waren mit Schnitzereien verziert: In konzentrischer Anordnung zeigten sie einen Kreis, einen Stern und ein Dreieck um einen Punkt in der Mitte – genau wie beim Anneau- Bodenbild. Die bunten Schnüre waren wie ein kompliziertes Gewebe um die Schriftrolle geknotet. Bevor Giselle nur darüber nachdenken konnte, sie entgegenzunehmen, sprang Max mit einem Satz vor sie.
»Behalt deine Hände bei dir, Arschloch«, sagte Max mit erhobenem Messer.
Ein Ring aus Giselles übrigen Sunspears und Shadowblades zog sich allmählich enger um sie, und die Schwingen des Engels loderten drohend auf. Funken stoben und entfachten winzige Brände auf dem Asphalt.
»Ich sollte euch vor meinem Feuer warnen. Seine Berührung überlebt für gewöhnlich niemand.« Er richtete sich damit an Max, während er nach wie vor den Arm mit der Schriftrolle ausgestreckt hielt.
»Versuch, meine Hexe anzurühren, und ich reiße dir deine verdammten Flügel ab«, antwortete sie.
»Mutige Worte. Mein Feuer würde dein Fleisch verzehren und deine Knochen zu Asche verbrennen.«
»Aber erst, wenn ich dich getötet habe.«
»Für eine Hexe?«, entgegnete der Engel verächtlich. »Ich hatte gehört, dass du nicht allzu loyal seist.«
»Vielleicht sind das jetzt meine Bannzauber. Oder vielleicht kann ich dich einfach nicht leiden«, gab Max zurück.
Ehrlich belustigt grinste er, was Max überrumpelte. Er war ätherisch schön, wie man es von Engeln eben erwartete. Das Lächeln veränderte sein Gesicht jedoch völlig und verlieh ihm beinahe etwas Menschliches. Beinahe. Er legte den Kopf schräg und musterte sie mit seinen blutroten Augen. Sie umklammerte ihr Messer fester.
»Sklaverei steht dir nicht«, meinte er sanft.
Einen Moment lang war Max sprachlos. Ihr Mund war unerklärlicherweise wie ausgetrocknet. »Sklaverei steht niemandem «, erwiderte sie schließlich. »Aber was weißt du schon darüber?«
Diesmal wirkte sein Lächeln bitter. »Mehr, als du denkst. Meine Herrin schickt eine Nachricht. Nimmst du sie entgegen?« An Max vorbei sah er zu Giselle, die noch immer auf der Treppe zu ihrem Wohnwagen stand.
»Ich nehme sie«, schaltete Max sich ein. »Gib sie mir.«
»Das könnte sich als … tödlich erweisen«, sagte der Engel mit einem leichten Stirnrunzeln. »Sie ist vor der Berührung aller Wesen mit Ausnahme der Hexe geschützt.«
Er nannte Giselles Namen nicht, als würde es sich nicht lohnen, ihn zu kennen. Max zuckte mit den Schultern. »Dann nimmst du sie wohl wieder mit.«
»Max!«, mahnte Giselle sie.
»Nein«, sagte Max klipp und klar. »Halt verdammt noch mal die Klappe und lass mich das tun, wofür du mich gemacht hast.«
Zu ihrer Überraschung antwortete Giselle nicht. Die Falten auf der Stirn des Engels vertieften sich. Max hätte am liebsten über seine Verwirrung gelacht. Sie begriff selbst nicht, was da in ihr vorging. Dreißig Jahre lang hatte sie Giselle um jeden Preis tot sehen wollen.
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