Shadowdwellers: Magnus (German Edition)
sagte er leise mit einer ruhigen Stimme, die weniger Sorge oder Mitgefühl ausdrückte als Verständnis und Verbundenheit. »Haben sie sich entmaterialisiert?«
Natürlich wusste Sagan das bereits. Das war nicht die Frage, die er dem Jungen stellte, als er ihm die Kleider gab. Henry nickte und schlüpfte so schnell er konnte in die maßgeschneiderten Sachen. Sein Gesicht brannte vor Scham, als er zu Dae aufblickte. Sagan untersuchte das Bett, genau wie der Junge es trotz seiner Hast beim Anziehen tat. Seine rotholzfarbenen Augen blickten grimmig.
»Ich muss dich bitten, mein Sohn … die Sünden zu bezeugen, die Nicoya und Shiloh heute hier begangen haben«, sagte Sagan bedächtig. »Man braucht einen starken Charakter, um diejenigen anzuklagen, die in einer mächtigeren Position sind. Mir ist klar, dass das viel verlangt ist.«
Henry, der die Knie wieder an die Brust gezogen hatte, nickte. Daenaira verstand, dass Sagan mit seiner Vorgehensweise dem Jungen die Möglichkeit geben wollte, ein Gefühl für seine Männlichkeit zurückzugewinnen, während er damit fertigzuwerden versuchte, was man mit seinem Körper angestellt hatte.
»Sie haben gesagt, es wäre keine Sünde, wenn sie beide einverstanden wären. Ich hatte nicht die Absicht, etwas Verbotenes zu tun.«
Die Panik in seiner Stimme sprach auch aus dem Blick, den er dem Bußpriester zuwarf. Dae erkannte, dass es Shiloh und Nicoya auf diese Weise gelungen war, ihn zum Opfer zu machen, ohne dass es Folgen für sie hatte. Die Angst vor der Bestrafung brachte sie dazu, dass sie schwiegen, genau wie es bei Tiana war. Doch die Buße war nicht so schrecklich, als dass man eine solche Angst haben müsste, was Henry in seinem Alter eigentlich wissen sollte. Im Grunde war es Shiloh, vor dem er sich fürchtete. Bei den Göttern – als Dae darüber nachdachte, konnte sie sich sehr gut vorstellen, wie ein Bußpriester wie Shiloh seine Macht missbrauchte, indem er Strafen androhte, um seine Opfer im Griff zu haben. Jetzt war Henry ängstlich und misstrauisch ihnen allen gegenüber, und das war schlimm.
»Henry«, meldete sie sich behutsam zu Wort. »Kein Einverständnis, keine Sünde. Denk daran, ja? Wenn du dein Einverständnis nicht gegeben hast, hast du nicht gesündigt. Dann haben sie es allein getan.«
»Aber … aber ich wollte … sie war so schön.« Henry starrte an die Wand und sah sich in der silbern schimmernden Spiegelung der gefliesten Oberfläche. »Ich wusste, dass es falsch war. Ich hatte so oft davon fantasiert.«
»Fantasien sind nicht sündhaft«, brachte Sagan ihm in Erinnerung. »Sie sind normal und gesund. Nur die Handlungen müssen beurteilt werden. Was hast du zugelassen, Henry?«
»Sie hat mich … in den Mund genommen. Es war … « Er schluckte und errötete. »Ich wollte es. Ich hätte es nie getan, wenn Shiloh nicht gesagt hätte, dass es in Ordnung ist. Ich schwöre, das hätte ich nicht. Doch es sind meine Lehrer, und sie haben gesagt, dass es erlaubt ist!«
»Ich weiß, Henry«, sagte Sagan mit einem Nicken. »Und das ist die Sünde, die bestraft werden muss. Es betrifft allein sie, weil sie ihre Stellung missbraucht und dir Lügen erzählt haben, um dich zu diesem Schritt zu bewegen und um dich zu missbrauchen. Es tut mir leid, dass du das Opfer dieser Heimtücke warst. Aber ich verspreche dir, sie werden büßen für ihre Sünden.«
»Besonders Shiloh«, entfuhr es dem Jungen. »Besonders der! Ich habe ihm mein Einverständnis nicht gegeben. Das habe ich nicht!« Tränen traten dem Schüler in die Augen, und er wischte sie unwillig weg. »Er hat gewartet, bis ich nicht aufgepasst habe. Nicoya hat mich abgelenkt. D-dann hat er mich von hinten gepackt und mich auf das Bett geworfen … und Nicoya hat ihm geholfen, mich festzuhalten! Ich konnte mich nicht losmachen!«, stieß er zornig hervor. »Oh Ihr Götter, es hat so wehgetan! Es war so schmerzhaft. A-aber … «
Henry brach ab, und ein tiefes Schluchzen kam aus seiner Brust. Jetzt, das wusste Dae, war es an der Zeit, ihn zu bemuttern. Sagan trat zur Seite, um ihr Platz zu machen. Sie ging zu dem Jungen, legte die Arme um ihn und beruhigte ihn, während sie ihm sanft übers Haar strich. Schnell ergab er sich ihrer Sanftheit und ihrem Trost und umklammerte sie so fest, dass sie kaum Luft bekam. Er war ein starker Junge, und er musste sich nach Kräften gewehrt haben. Sie blickte auf zu der heilen Drenna -Statue und fragte sich zornig, warum Tiana es nicht geschafft hatte,
Weitere Kostenlose Bücher