Shadowfever: Fever Saga 5 (German Edition)
nicht – er war tot. Wieder einmal.
Ich sah erst ihn, dann die dunkle Oberfläche des Spiegels an.
Der Spiegel hatte mich nicht getötet, aber ihn. Mir gefiel ganz und gar nicht, was das bedeutete.
Das hieß, dass ich in der Tat die Konkubine und Jericho nicht mein König war.
SOFORT.
Der Befehl war ungeheuerlich, unwiderstehlich. Stimmenzauber neunten Grades. Ich wollte bei Jericho bleiben, hätte aber nicht bleiben können, auch wenn mein Leben davon abhinge. Und ich war ziemlich sicher, dass es so war.
»Ich kann da drüben nicht atmen.«
Du lebst nicht auf dieser Seite des Spiegels. Ändere deine Erwartungen. Verzichte auf Atem. Die Angst, nicht die Tatsachen behindern dich.
War das möglich? Ich glaubte es nicht. Doch offensichtlich spielte es keine Rolle, was ich glaubte; denn unwillkürlich erhob ich mich, und meine Füße trugen mich zum Dunklen Spiegel.
»Jericho!«, rief ich, als ich fühlte, wie ich von ihm weggezogen wurde.
Ich hasste das. Alles. Ich war die Konkubine, aber Jericho nicht der König, und damit wurde ich nicht fertig – allerdings war mir auch nicht klar, wie ich damit hätte fertig werden sollen, wenn er der König wäre. Jetzt wurde ich an einen Ort gerufen, wo ich nicht atmen konnte und, wie mein körperloser Peiniger behauptete, nicht wirklich lebte. Mir blieb nichts anderes übrig, als Jericho tot zurückzulassen.
Mit einem Mal verspürte ich nicht mehr den Wunsch, mehr über mich selbst zu erfahren. Es reichte, und es tat mir leid, dass ich so versessen darauf gewesen war. Barrons hatte recht gehabt, wie immer. Manche Dinge musste man nicht wissen.
»Ich mache das nicht. Ich spiele deine albernen Spielchen nichtmit – was immer du auch damit bezweckst und wer immer du sein magst. Ich kehre zurück in mein Leben. In Macs Leben«, präzisierte ich. Keine Antwort. Nur dieser unerbittliche Sog in die Dunkelheit. Wieder war ich wie eine Marionette, und ein unsichtbarer Puppenspieler zog an den Fäden. Ich hatte keine Wahl. Ich wurde auf die andere Seite gezerrt und konnte nichts dagegen unternehmen.
Zähneknirschend wehrte ich mich gegen jeden Schritt, stieg über Jerichos Körper und schob mich durch den Spiegel.
27
I nstinktiv rang ich um Atem.
Wie vorhin wurde ich schon im ersten Moment von Eis umschlossen.
Beim Durchgang durch den Spiegel hatte sich ein Vorhang gehoben und noch mehr vergessene Kindheitserinnerungen enthüllt. Auf einmal fiel mir wieder ein, wie ich mit vier, fünf, sechs Jahren in dieser fremden nächtlichen Traumlandschaft festsaß. Erst wenn ein körperloser Befehl meinen Schlummer durchdrang, sprach ich meine Gebete, schloss die Augen und schlief richtig ein.
Wenn ich keuchend und zitternd aus den Alpträumen aufschreckte, lief ich zu Daddy und beklagte mich, weil ich fror und keine Luft bekam.
Ich überlegte, was dem jungen Jack Lane in diesen Situationen durch den Kopf ging – seine Adoptivtochter, der verboten war, jemals in ihr Geburtsland zurückzukehren, wurde von furchteinflößend kalten, luftlosen Alpträumen geplagt. Welche Vorstellungen hatte er von den Schrecken, die sie erlebt haben musste, um so verängstigt zu sein?
Ich liebte meinen Vater von ganzem Herzen dafür, dass er mireine so schöne Kindheit bereitet hatte. Er hatte mich in der alltäglichen Routine eines einfachen Lebens geerdet, in dem es lauter sonnige Tage, Radtouren, Musikstunden und Backfreuden mit Mom in unserer hellen warmen Küche gab. Vielleicht hatte er mir erlaubt, zu leichtfertig zu sein, weil er dem Schmerz der Alpträume etwas entgegensetzen wollte. Ich konnte nicht behaupten, dass ich als Mutter anders gehandelt hätte.
Die Atemnot war nur das erste von vielen Dingen, die mein kindliches Gemüt so stark belastet hatten. Im Laufe der Zeit lernte ich, gestärkt durch den Kokon aus elterlicher Liebe, die nächtlichen Bilder und düsteren Emotionen, die der Kalte Ort wachrief, zu unterdrücken. In meinen Teenager-Jahren war der wiederkehrende Alptraum tief in meinem Unterbewusstsein vergraben. Nur eine tiefsitzende Abneigung gegen Kälte und die vage Ahnung von Bipolarität blieben. Allmählich entwickelte sich mein Verstand. Wenn gelegentlich ein paar unverständliche Bilder durch die Ritzen des Unterbewusstseins ans Licht drängten, ordnete ich sie irgendwelchen Horrorfilmen zu, auf die ich beim Zappen im Fernsehen gestoßen war.
Hab keine Angst. Ich habe dich auserwählt, weil du es kannst.
Auch daran erinnere ich mich jetzt. Daran, dass mich die
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