Shadowfever: Fever Saga 5 (German Edition)
Vergangenheit, die längst verloren war und nie wiederkommen würde, zu vertiefen. Und die Trauer – o Gott, so eine Trauer hatte ich noch nie kennengelernt. Kummer und Schmerz wandelten durch diese dunklen Flure bis in alle Ewigkeit, und die Geister der Liebenden, die dumm genug waren, ihre Zeit nicht auszukosten, spukten in diesen heiligen Hallen. Erinnerungen lauerten in allen Winkeln, und ich schlich mich wie ein trauriger Schatten an diese Erinnerungen heran.
Waren Illusionen nicht besser als nichts?
Ich könnte hierbleiben und müsste mich nie damit befassen, dass mein Dasein leer war, dass sich in meinem Leben alles nur um diese Leere drehte: Träume, Verführung, Glamour.
Lügen. Alles Lügen.
Aber hier konnte ich vergessen.
Komm. SOFORT.
»Mac.« Jericho schüttelte mich. »Sieh mich an.«
Ich sah ihn in der Ferne durch Diamanten und Gespenster der Vergangenheit. Und hinter ihm erkannte ich durch den Spiegel die monströse Gestalt des Unseelie-Königs, als würde er einen Schatten auf Jericho in der weißen Hälfte des Raumes werfen. Ich fragte mich, ob der Schatten der Konkubine anders wurde, wenn sie sich auf der anderen Seite des Spiegels aufhielt. Wurde sie in seiner Hälfte wie er? Groß und vielschichtig, um dem zu entsprechen, was immer der König war? Was war sie in der tröstlichen, heiligen Dunkelheit? Was war ich?
»Mac, konzentriere dich auf mich. Schau mich an, sprich mit mir!«
Das konnte ich nicht, denn, was immer hinter dem Spiegel wartete, hatte mich mein Leben lang gerufen.
Ich wusste ohne jeden Zweifel, dass mich der Spiegel nicht töten würde.
»Tut mir leid. Ich muss gehen.« Er legte die Hände auf meine Schultern und versuchte, mich wegzudrehen. »Wende dich ab von dem Spiegel, Mac. Lass uns gehen. Manche Dinge muss man nicht wissen. Genügt dir dein Leben nicht, so wie es ist?«
Ich lachte. Der Mann, der immer darauf beharrte, dass ich die Dinge so sehen sollte, wie sie waren, bedrängte mich jetzt, mich zu verstecken? Die Konkubine lachte auch. Sie legte den Kopf zurück, als küsste sie einen unsichtbaren Liebhaber.
Das musste der König sein. Ich strich mit der Hand über Barrons’ Arm und verschränkte die Finger mit seinen. »Komm mit mir«, sagte ich und steuerte den Spiegel an.
26
I ch war überrascht, wie mühelos ich durch die schwarze Membrane glitt. Die Kälte, die mir auf der anderen Seite entgegenschlug, schockte mich.
Mein Gehirn sandte den Befehl aus, nach Luft zu schnappen. Meinem Körper gelang es nicht zu gehorchen. Ich war vom Kopf bis zu den Zehenspitzen in eine dünne glitzernde Eisschicht gehüllt. Sie knackte, als ich einen Schritt machte, und Stücke fielen klirrend von mir ab. Augenblicklich bildete sich eine neue Schicht.
Wie sollte ich hier atmen? Wie hatte die Konkubine hier Luft bekommen?
Die Schleimhäute in Nase und Mund, meine Zunge, die Luftröhre bis hinunter zur Lunge – alles, was mit Luft in Berührung kam, war mit undurchlässigem Eis bedeckt. Ich schwankte zurück und strebte unwillkürlich zur anderen Seite des Spiegels, wo es Licht und Sauerstoff gab.
Mir war derart kalt, dass ich mich kaum noch rühren konnte. Für einen Moment wusste ich nicht, ob ich es zurück auf die andere Seite schaffte. Ich hatte Angst, dass sich die Geschichte wiederholte und ich im Schlafgemach des Königs sterben würde, nur dass ich diesmal keinen Abschiedsbrief hinterließ.
Als ich endlich die dunkle Membrane durchdrang, schlug mir Hitze entgegen, als hätte ich die Tür eines Backofens aufgemacht. Ich stolperte, flog durch den Raum und prallte an die Wand. Die Konkubine auf den Fellen schenkte mir keinerlei Beachtung. Ich holte gierig Luft.
Wo war Jericho? Konnte er auf der anderen Seite atmen, oder war er dort in seiner natürlichen Umgebung? Ich schaute zurück und rechnete damit, dass er mich von der anderen Seite finster anfunkelte, weil ich ihn gezwungen hatte, seine wahre Identität preiszugeben.
Ich wich erschrocken zurück und wäre beinahe gefallen.
Und ich war so sicher gewesen!
Barrons war an der Grenze von Hell und Dunkel auf dem Boden zusammengebrochen und lag auf der weißen Seite des Raumes.
Nur zwei Geschöpfe können durch diesen Spiegel treten: der Unseelie-König und seine Konkubine, hatte mir Darroc erklärt. Jeder andere, der ihn berührt, ist sofort tot. Auch ein Feenwesen.
»Jericho!« Ich lief zu ihm, zerrte ihn vom Spiegel weg und sank neben ihm auf die Knie. Ich drehte ihn auf den Rücken. Er atmete
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