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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Schickt sie in die Arbeitslosigkeit, weil sie den Blick nicht vor ihm senken. Und er hat sich eine neue Theorie zurechtgeklopft: Hermione ist eine Verbrecherin. Man hört ihn durch den Palast stampfen und laut Gerichtsverhandlung spielen. Er spielt den Kläger, den Anwalt, den Richter. Der Prozeß ist eine klare Sache. Dann hört man ihn sagen: »Wenn ich ihr sofort den Kopf abschlüge, kein Mensch auf der Welt, der Verstand hat, würde etwas daran finden. Aber Leontes ist ein gerechter Mann! Er wird sich heraushalten. Er wird die Hure dem Gericht übergeben!«
    Leontes spielt nicht nur Kläger, Anwalt und Richter. Er spielt auch den Gendarmen. Er greift sich eine Axt und schlägt die Tür zum Gemach seiner Frau ein. Und er schleppt Hermione an den Haaren hinunter ins Verlies. Diesmal hat Mamillius nur Angst. Für solchen Gewaltausbruch kann sein zehnjähriger Verstand keine Spur wissenschaftlichen Interesses aufbringen. Er läuft davon.
    »Dich krieg ich auch noch!« hört er den Vater brüllen, daß es im ganzen Schloß widerhallt.
    Mamillius läuft durch die Gange, über Stiegen hinauf und über Stiegen hinunter, bis er endlich vor der Wohnung seiner Amme Paulina steht. Er hämmert an die Tür. Paulinas Mann, Antigonus, öffnet. Er kann sich denken, was los ist. Schnell zieht er Mamillius herein, sperrt hinter ihm die Tür zu.
    Antigonus ist ein gutmütiger Mann, im Gegensatz zu seiner Frau Pauline etwas schwer von Begriff. Außerdem ist er urteilsschwach. Was selten ein Problem ist, weil ihm seine Frau meistens die Entscheidungen abnimmt. Und ängstlich ist er auch. Das war bisher ebenfalls nie ein Problem gewesen, weil sich Paulina immer vor ihn hingestellt hat. Obendrein glaubt er an die Unfehlbarkeit des Königs.
    »Wenn der König kommt und dich haben will«, sagt er zu Mamillius, »dann muß ich dich ihm geben.«
    »Das wirst du ganz bestimmt nicht«, sagt Paulina und drückt Mamillius gegen ihre Röcke. »Ich werde mit dem König reden, wenn er an unsere Tür klopft.«
    Sie bereitet für Mamillius ein Bett, und dann legt er seinen Kopf in ihren Schoß, und sie erzählt ihm Geschichten. »Es war einmal …«
    Der Wahn steigert sich noch. Der Rat tritt heimlich zusammen. Die Männer sind nicht sonderlich krisenfest, es hat ja bisher nie eine wirkliche Krise gegeben. Man beschließt: Ruhe bewahren. Alles gelassen sehen. Abfederungsmaßnahmen treffen. Auf den König eingehen, versuchen, ihn zu beeinflussen, damit er von seinem Plan läßt. Die absurde Gerichtsverhandlung gegen Hermione nennen die Herren »den Plan des Königs«.
    »Wir geben uns mit seinem Plan einverstanden, regen aber an, jemanden zum Orakel nach Delphi zu schicken. Ganz egal, wie der Spruch des Orakels dann ausfällt, wir sind jedenfalls aus dem Schneider.«
    Dann bringt Hermione im Gefängnis ein Mädchen zur Welt. Sie gibt ihm den Namen Perdita.
    »Bring das Kind zu meinem Mann«, sagt sie zu ihrer Dienerin Paulina. »Sieh dir das Geschöpf doch an! So viel Unschuld wird sein Herz erschüttern und gesund machen.«
    Paulina hat ihre Zweifel, aber sie tut, was ihre Herrin wünscht.
    Paulinas Zweifel waren begründet.
    »Dieses Ding da soll meine Tochter sein?« schreit Leontes. »Der Balg von dem Böhmen wird es sein! Weg mit dem Ding!«
    Er gibt Antigonus Befehl, ein Schiff auszurüsten und das Kind auf dem ersten Land, wohin es die Winde treiben, auszusetzen.
    »Das wirst du nicht tun«, sagt Paulina zu ihrem Mann.
    »Ich muß«, sagt der.
    »Was du mußt, das sage ich dir«, sagt sie.
    Aber Antigonus muß. Und er tut es. Und als Paulina sagt, so wolle sie ihn nie wiedersehen, muß er doch und tut es doch. Hermione gibt ihm Gold und Edelsteine mit, er soll die Schätze in die Wiege legen; falls einer kommt und sich des Kindes erbarmt, so soll seine Güte belohnt sein.
    Der Prozeß gegen die Königin beginnt. Der König, entgegen seiner Ankündigung, macht sich nun doch zum Kläger, zum Anwalt und zum Richter .
    Der Bote aus Delphi kommt und hat Bemerkenswertes zu berichten: »Erstens: Hermione ist unschuldig. Zweitens: Polyxenes ist unschuldig. Drittens: Leontes ist ein verrückter Tyrann. Viertens: Er wird ohne Erben leben, wenn das Verlorene nicht gefunden wird.«
    Leontes läßt den Boten verhaften.
    Dann, eine traurige Meldung: Mamillius ist tot. Er ist am Kummer gestorben. An der Sorge gestorben. Er ist gestorben, weil er in einer Welt, in der der Wahnsinn regiert, nicht leben konnte.
    Hermione fällt in Ohnmacht. Sie wird aus dem

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