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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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Gerichtssaal getragen. Leontes sieht keine Veranlassung, die Verhandlung zu unterbrechen. Der Wahnsinn läßt ihm die Augen hervorquellen.
    Aber dann wird die Tür aufgerissen, und Paulina tritt ein, weiß im Gesicht, und sie geht durch den Saal, jeder Schritt ein Schlag, direkt auf den König zu.
    »Du!« sagt sie mit leiser, aber fester Stimme. »Du! Du bist an deinem Ziel angelangt. Deine Frau ist deinem Sohn nachgefolgt. Hermione ist tot.«
    Mit brachialer Gewalt hatte der Wahn in Leontes eingeschlagen. Ebenso plötzlich verläßt er ihn. Läßt ihn ausgebrannt zurück. Hat ihm alles genommen. Der König bricht zusammen. Aus seinen Augen blickt wieder der, der er in den guten Zeiten war. Und der sieht die Welt durch Tränen hindurch.
     
    Antigonus wird von seinem Schiff über das Meer getragen. Die Winde treiben ihn vor sich her. Und dann landet er an einem Strand, und er weiß nicht, wo er ist. Aber wir wissen es. Es ist der Strand von Böhmen. Antigonus tut, was sein Herr ihm aufgetragen hat. Er setzt den Korb mit der kleinen Perdita ab, gibt ihr noch aus dem Fläschchen zu trinken und glaubt, damit alles getan zu haben, was der heilige Augustinus verlangt, daß ein Mensch für einen anderen tue.
    Und weil er schon hier ist, will er sich die Gegend ansehen. Das sollte er besser nicht tun. Es ist nämlich ein merkwürdiger Strand, dieser Strand von Böhmen. Als Antigonus gemächlich die Fußzehen durch den Sand zieht, hört er hinter sich ein gräßliches Knurren. Er flieht, von einem Bären verfolgt. Wir werden nie mehr von ihm hören.
    Da liegt nun der Korb mit der kleinen Perdita. Ein Schäfer kommt des Weges, der hört das schreiende Kind. Er sieht die Schätze, Gold und Edelsteine, und sagt sich: Schön, wenn für Güte bezahlt wird, da will ich mich nicht zieren. Er nimmt das Kind zu sich, will es großziehen wie sein eigenes, kauft sich vom Gold eine große Schafherde und zieht in eine andere Gegend. Es muß ja nicht gleich jeder alles wissen.
    Als Perdita achtzehn Jahre ist und eine schöne, kluge, wendige Frau, trifft sie eines Tages einen schönen, klugen, wendigen jungen Mann. Er heißt Florizel. Sie verlieben sich ineinander. Perdita weiß nicht, daß Florizel der Sohn des böhmischen Königs Polyxenes ist. Und es wäre ihr auch gleichgültig. Es interessiert sie nicht, was einer besitzt oder welchem Stand er angehört, ob er über eine große Dienerschaft gebietet und welche Titel vor seinem Namen kleben. Nur was der Mensch ist, nicht was er scheint, interessiert sie.
    Und Florizel hat ähnliche Ansichten. Er möchte sein, wer er ist. Und wer er ist, das muß auch durch die Tracht eines einfachen Bürgers zu sehen sein. Ich möchte eine liebe Frau kennenlernen, die mich vielleicht ein Leben lang küssen möchte. Aber ich möchte gemeint sein, ich, nicht der Königssohn und Erbe Böhmens, der ich zwar auch bin. Also hat er sich verkleidet und auf die Wanderschaft gemacht und kam auch in das Dorf, in dem Perdita lebt. Und so ist es geschehen. Die beiden schauten einander in die Augen, und sie sahen, was sie sehen wollten, was sie selbst sehen wollten, und auch, was der andere sehen wollte. Sie beschließen zu heiraten. Beim großen Fest der Schafschur wollen sie ihre Vermählung bekanntgeben.
    Polyxenes, der König von Böhmen, ist in Sorge. Sein Sohn kommt am Morgen nicht zum Frühstück, am Mittag nicht zum Mittagessen, am Nachmittag nicht zum Tee, am Abend nicht zum Abendessen. Und dann wird ihm gemeldet, Florizel sei verschwunden. Aber Camillo beruhigt.
    »Was habt Ihr gemacht, als Ihr im Alter Eures Sohnes wart?« fragt er den König.
    »Ich bin hinaus, habe mir die Welt angesehen, und zwar nach Strich und Faden«, antwortet Polyxenes stolz. Gern hätte er hinzugefügt: Zusammen mit seinem damaligen Freund, Leontes, habe er sich die Welt nach Strich und Faden angeschaut. Aber dieser Name darf am böhmischen Hof nicht mehr genannt werden.
    Was Camillo bedauert. Camillo liebt seinen sizilianischen Herrn immer noch. Und über all die Jahre, die er nun schon im böhmischen Exil verbringt, hat die Sorge nicht nachgelassen. Er hat sich einen privaten Kurierdienst eingerichtet; weiß also, was in Sizilien am Hof des Leontes geschehen ist – daß Mamillius gestorben ist, daß der König seine Tochter hat aussetzen lassen, daß Hermione gestorben ist. Aber er weiß auch, daß der Dämon den König verlassen hat, daß Leontes geheilt ist, daß er verzweifelt ist und bereut und alles daransetzen möchte,

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