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Shakespeare erzählt

Shakespeare erzählt

Titel: Shakespeare erzählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Köhlmeier
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auch!«
    Andererseits ist es ja auch eine Art von Bevorzugung, sagt sich Helena.
    Für Oberon, den König der Harmonie, ist es nur Lärm. Von den Kompliziertheiten, Verrücktheiten und Verkehrtheiten der menschlichen Seele weiß er nichts. Er hört Lärm und sieht Unglück. Beides stört die Harmonie. Das mag er nicht.
    Als der Puck mit dem Zauberblumenstrauß kommt, zupft Oberon ein Blümchen samt Stengel heraus, gibt es dem Puck und sagt: »Da, in diese Richtung geh! Wirst einen Mann und eine Frau treffen. Sie tragen Kleider, wie es die jungen Athener gern mögen. Daran wirst du sie erkennen. Der Mann ist böse. Er beschimpft die Frau. Sie weint. Er riecht streng. Sie hält Abstand von ihm. Warte ab, bis sich die beiden schlafen legen, dann träufle dem Mann den Saft auf die Augen.«
    »Und wenn sie sich nicht schlafen legen?«
    »Zorn macht müde, und einem Zornigen zuhören zu müssen, das macht auch müde. Sie werden sich schlafen legen.«
    Der Puck rast los. Gern tut er, was ihm sein König befiehlt. Oberon hat interessante Befehle, findet der Puck.
     
    Es ist Nacht, und Titania liegt in ihrem Feenbett und schläft. Oberon betrachtet sie zärtlich. Keine andere Meinung kräuselt ihre Stirn. Keine Meinungen dringen aus ihrem schönen Mund. So will Oberon seine Titania haben. Er streichelt ihr übers Haar, und dann träufelt er ihr den Saft aus dem Stengel des Stiefmütterchens auf die Augenlider. Was wird das erste sein, das sie sieht, wenn sie ihre Augen öffnet? Ein Käfer? Ein Wurm? Eine Amsel? Sie wird sich verlieben!
     
    Doch längst ist nicht Ruhe im Wald. Das glückliche Paar tritt auf, Hermia und Lysander. Die beiden haben sich im Wald verirrt. Eigentlich wissen sie gar nicht, wohin sie wollen.
    »Lysander«, sagt Hermia.
    »Ja?«
    »Was meinst du? Ist es nicht besser, wir legen uns ins Moos und schlafen, bis es hell wird?«
    »Ja.«
    »Du kannst es ruhig sagen, wenn du heute einmal anderer Meinung bist.«
    »Ja.«
    Sie legen sich ins Moos. Lysander will sich an Hermia schmiegen.
    Sie sagt: »Findest du nicht, es ist besser, wenn wir damit warten?«
    »Ja-a.«
    »Wir machen es folgendermaßen«, sagt sie. »Hier ist ein Farnbusch. Du legst dich auf die eine Seite, ich lege mich auf die andere Seite. Was hältst du davon?«
    »Ja-a-a.«
    Und dann schlafen sie ein.
    Da kommt der Puck und sieht die beiden. Mann und Frau sind sie. Athenisch gekleidet sind sie auch. Aha. Und er verwechselt den Lysander mit dem Demetrius; das heißt, er verwechselt nicht, er kennt ja weder den einen noch den anderen. Er hängt sich an einen Ast und träufelt dem schlafenden Lysander den Zaubersaft aufs Augenlid.
     
    Demetrius und Helena stapfen immer noch durch den Wald. Demetrius ist inzwischen so böse, so unverschämt zu Helena, daß nicht einmal sie es mehr ertragen kann.
    »Ich gehe nicht weiter«, sagt sie.
    Aber Demetrius kennt keinen Bahnhof: »Nicht mehr weiter willst du gehen? Das ist das Schönste, was ich je aus deinem Mund gehört habe! Ich habe dich nicht gebeten, mit mir zu kommen! Bleib stehen, und halt deinen Mund! Wunderbar!«
    »Aber«, schluchzt Helena, »es ist so dunkel hier!«
    »Das ist das Beste des ganzen Abends, daß es dunkel ist. Da muß ich dich wenigstens nicht sehen.«
    »Und wenn mich die wilden Tiere fressen?«
    »Die werden sich hüten!«
    »Und wenn sie es doch tun?«
    »Dann Hut ab vor ihrem Mut!«
    Und schon ist er davon. Der Ungehobelte rumpelt durchs Gezweig. Helena sieht ihn nicht mehr. Nur schimpfen hört sie ihn noch. Und dann hört sie ihn auch nicht mehr schimpfen. Sie setzt sich auf den Waldboden und krallt ihre Finger in die Erde. Bohrt ihre Augen ins Schwarze. Hat Angst. Nie in ihrem Leben war sie so allein.
    Zorn macht müde. Da hat Oberon recht. Irgendwann ist der Zornbuckel zu hoch, so daß ihn die Beine nicht mehr tragen können. Demetrius haut sich zwischen die Tannen und schnarcht. – Wieder keine Ruhe im Wald!
    Oberon hat inzwischen mitgekriegt, daß sein Puck die Sache vermasselt hat, daß er dem Falschen den Saft auf die Augenlider geträufelt hat. Dem Stillen anstatt dem Lauten. Oberon will den Fehler korrigieren. Er kniet sich neben den sägenden Demetrius und preßt den Zaubersaft aus dem Stengel des Stiefmütterchens auf seine Augen.
    Am unglücklichsten ist Helena. Das wäre weiter nicht schlimm, sie ist ja vernarrt ins Unglück. Nur: Unglück bei Nacht im Wald ist etwas anders als bei Tag in der Stadt. Und Unglück allein hat sowieso keinen Sinn. Wenn niemand

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